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Chemotagebuch – Tag 126 – 25.09.2016

In den letzten Tagen ist es mir richtig elend. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich mich derzeit an einem neuen Tiefpunkt befinde.

Die Schmerzen nehmen zu, die Übelkeit macht mir sehr zu schaffen, ich verliere weiter Gewicht und entsprechend fehlt mir auch einfach viel Kraft.

Auch mental ist es eher so ein „dahinvegitieren“, kann gut sein dass ich mich da wiederhole. Es ist ja Teil dieses „Experiments“ (damit meine ich diesen Chemo-Tagebuch-Blog) dass ich es fließen lasse. Das was gerade da ist.

Ich will dann dieses Sammelsurium an Gedanken in einem Rutsch lesen, da bin ich gespannt drauf…

Das wirklich „Schlimme“ an meiner momentanen Situation ist die Hilflosigkeit mit der ich dieser ganzen Scheiße gegenübertrete. Ich weiß nicht was ich machen soll. Mir fehlt einfach die Kraft und die Motivation für alles gerade.

Was also tun? Es einfach aussitzen und hoffen dass es von allein wieder besser wird?!? Mir noch mehr Medikamente (egal ob nun pflanzlich oder chemisch) einwerfen?!?

Ich weiß es eben einfach nicht.

Nach der Phase der Wut, des Zorns und der Aggressionen befinde ich mich nun im tiefen Tal der Ohnmacht, der Traurigkeit und der Hilflosigkeit. „Depression“ ging mir mehrfach in den letzten Tagen durch den Kopf. Wobei das ja im Sinne des Wortes etwas sehr positives ist.

Denn ebenso wie bei der Ent-Täuschung, bei der die Täuschung entfernt wird, wird ja bei der De-Pression auch etwas entfernt. Nämlich der Druck (engl. pressure).

Ist es also Ohnmacht und Traurigkeit die übrig bleibt wenn der Druck weg ist? oder ist das nur eine Illusion, ein… sagen wir „ungünstiger Betrachtungswinkel“ auf die Situation.

Vielleicht ist das was sich wie Ohnmacht (ohne Macht sein) anfühlt in Wirklichkeit auch Erleichterung. Vielleicht hindert mich meine (Verlust-)Angst daran es so wahrzunehmen. Die Angst davor etwas wichtiges zu verlieren.

Etwas, von dem ich dachte/denke dass es zu mir gehört.

Es wird sich zeigen. Auch diese Phase will und wird gemeistert werden und ich werde wissen was es bedeuten soll.

Bis dahin übe ich mich in Dankbarkeit für das was wir (meine Familie und ich) bisher schon erreicht haben. Für all das was gut läuft, denn es gibt ja nach wie vor sehr positive Aspekte in meinem Leben.

Und ich lausche in mich hinein und suche die Stille…

Wer bin ich?

Chemotagebuch – Tag 110 – 09.09.2016

Aus dem „das muss mir gehören/ich will es besitzen“ wird „mir reicht es, es zu erfahren/erleben“

Im ersteren Fall ziehen wir „unsere Grenze“ sehr eng. Es handelt sich um ein „Egobedürfnis“.

Die Grenze ist meistens unsere Haut, alles was „außerhalb“ dieser Grenze existiert betrachten wir als „Außenwelt“, als „nicht zu uns gehörig“ oder „getrennt von uns“.

Daher kann überhaupt das Bedürfnis entstehen etwas besitzen zu wollen. Denn man kann ja nur etwas besitzen wollen, was noch nicht „zu einem“ gehört.

Ist das Bewusstsein weit genug wird aus dem Ego ein größeres „Ego“, die Grenzen werden weiter… (bis hin zur Auflösung jener Struktur die wir als „Ego“ bezeichnen)

Wie kam ich darauf?….

Woher kommt der „Eroberungswunsch“, der Wunsch etwas besitzen zu wollen… Diese Frage ging mir durch den Kopf.

Ansonsten… Mir ist seltsam zumute. Mental. Einerseits möchte ich gern in die Welt hinaus und etwas erleben. Andererseits fehlt mir gerade völlig die Motivation für alles. Dies ist ein wirklich seltsamer Zwiespalt.

Depressive Verstimmung? Hm, nein, irgendwie nicht. Es ist ja nicht so das ich mich überflüssig fühle, oder nicht geliebt oder so…

Es fehlt nur einfach gerade ein wenig an der nötigen Motivation.

Ich weiß es gerade nicht genau, jedoch kann das durchaus mit dem obigen „Sachverhalt“ in Zusammenhang stehen.

Denn es ist ja so, wenn ich noch ein sehr stark ausgeprägtes Ego habe, mit vielen „ich-will-haben-Ego-Wünschen“, dann habe ich ja genug Handlungsmotivation, immer solange, bis ich das jeweilige Objekt der Begierde dann besitze. Danach löst sich die Motivation auf und das Ego sucht sich etwas Neues, was es gern besitzen möchte.

Wenn ich nun annehme, dass durch den Krebs und den damit einhergehenden Erfahrungen mein Bewusstsein so stark erweitert wurde, dass die „Egogrenze“ ebenfalls gewachsen ist, dann entfällt plötzlich der Motivation „Ich-will-besitzen“. Eventuell befinde ich mich gerade in dieser Phase. Wie gesagt weiß ich das gerade selber nicht so genau.

In dieser Woche war auch eine weitere Kontrolluntersuchung, ich hatte mal wieder das Vergnügen 1 Liter Kontrastmittel trinken zu dürfen und mich der Strahlung des Computer-Tomographen auszusetzen. Eine der wenigen Möglichkeiten den inneren Bauchbereich für Mediziner optisch zugänglich zu machen.

Dabei wurde festgestellt, dass der Tumor weiter geschrumpft ist. Das ist eine sehr aufbauende Information.

Somit ergibt sich folgender Verlauf (Größe des Tumors):

November ´15 => 4cm

April ´16 => 7cm

Juni ´16 => 4cm

September ´16 => 2cm

Für einen Schulmediziner sind das Hammerergebnisse. Mein Onkologe sagte, man erwarte solche Ergebnisse nicht einmal nach 6 Monaten intensiver Chemotherapie.

Na immerhin…

Übrigens ist die „Zielsetzung“ der Ärzte nicht, solange zu therapieren bis der Tumor ganz weg ist. Nein, nein. Weit gefehlt. Total verrückt. Der Arzt sagt, man therapiere für gewöhnlich solange, bis der Tumor wieder anfängt zu wachsen. Öhm…. Ja, ne, is kla…

Völlig verquer, aus meiner Sicht… Nicht?

Ich ging völlig naiv davon aus, dass wir solange therapieren bis der Tumor weg ist… Hach, ich kleines Dummerchen 😀 Naivling… *tz*tz*tz*

Naja, wie dem auch sei. Meine „Zielsetzung“ ist jedenfalls den Tumor komplett aus meinem Körper zu verbannen. Wobei es sicherlich auch unproblematisch wäre, wenn ein geringer Rest in meinem Körper verbleibt. Das Tumorgewebe scheint ja derzeit keine Organtätigkeit einzuschränken.

Auf jeden Fall mache ich nun eine Woche Chemo-Pause.

Da ich an einer Studie teilnehme, entscheidet sich in der Zwischenzeit in welche Gruppe („Kohorte“ wie der Mediziner sagt) ich lande.

Gruppe eins bekommt zusätzlich zum Standardprogramm einen Antikörper.

Gruppe zwei ist die Kontrollgruppe.

Wie lange soll das jetzt so weitergehen?

Tja. Aus schulmedizinischer Sicht ist das ein „Open-end-Programm“. Auch wieder witzig… Es geht dem Arzt gar nicht darum die Krankheit zu heilen. Es scheint so als handle es sich stets nur um lebenserhaltende Maßnahmen. Wirtschaftlich total sinnvoll. Man hält den Kunden, ähm, Patienten in einer Schwebe zwischen Leben und Tod.

Ein bisschen schade, dass das den meisten Ärzten dies auch zu reichen scheint. Ihre Motivation ist demnach nicht die Heilung des Patienten (Heilwerdung => heil werden => „ganz“ werden), sondern lediglich die Lebensverlängerung.

Dies soll so nicht bleiben.

Chemotagebuch – Tag 105 – 04.09.2016

Es gibt immer noch Momente in denen ich einfach nicht mehr wollen will. Momente größter Anspannung. Momente der Schwäche.

Doch gerade in diesen Momenten steckt eine sehr tiefgreifende Erkenntnis, nicht nur Erkenntnis für den Verstand sondern ein tiefgreifendes Erlebnis.

Diese Momente der Schwäche und Verzweiflung sind da, ob es mir passt oder nicht. Und ich muss sie durchleben. Ob es mir passt oder nicht. Weglaufen zählt nicht. Nicht nur das… Weglaufen ist schlicht und ergreifend nicht möglich!

Es gibt kein Entrinnen.

Das ist eine seltsame Konstellation irgendwie. Denn einerseits wird mir meine Hilflosigkeit völlig bewusst. Meine Machtlosigkeit. Meine Ohnmacht (=> ohne Macht zu sein).

Aber andererseits ist das auch irgendwie befreiend. Es fällt ein Druck von mir ab. Denn wenn ich ohnehin keine Macht drüber habe, dann kann ich es auch einfach akzeptieren.

Das entspannt dann den Moment, diese Momente des nichtmehr wollen wollens.

Ich lass dann einfach alles „über mich“ hinweg schwappen sozusagen. Von „außen“ könnte man dann sogar den Eindruck gewinnen ich habe wirklich aufgegeben. Doch in Wahrheit sammle ich nur neue Kräfte

Und so kann es von „außen“ auch insgesamt gerade so aussehen als sei dies eine Phase der Stagnation und des Stillstandes. In Wirklichkeit passiert „in mir“ jedoch gerade eine ganze Menge.

Es löst sich vieles, nach und nach. Ich kann so nach und nach mit einigen Dingen wesentlich entspannter umgehen. Nicht von jetzt auf gleich. Nicht von heut auf morgen. Eher von Situation zu Situation. Wie ein Muskel den man trainiert, der ist ja auch nicht von heut auf morgen gewachsen…

Körperlich macht mir die Chemo zunehmend zu schaffen. Ich habe förmlich das Gefühl mich von innen aufzulösen, das ist schwer zu begreifen. Mein Haut wird immer dünner. Das Wort das mir dazu regelmäßig in den Sinn kommt ist „Pergament“. Alt und brüchig, gleichzeitig aber noch geschmeidig. Jedoch abbauend.

Ironischer Weise ist Pergament ja aus Tierhaut gemacht, mein Unterbewusstsein ist ein Schelm.

Auch kräftetechnisch baue ich kontinuierlich ab. Konditionell. Ich werde „brüchig“, physisch instabil. Psychisch hingegen stabilisiere ich mich gerade, auch wenn es wie gesagt von „außen“ anders aussehen mag. Denn auch diese Momente der Schwäche können zur Stärke führen, je nach dem wie ich damit umgehe. Indem ich diese Schwäche endlich annehme. Und ich meine an der Stelle auch Charakterschwäche, vor allem Charakterschwäche!

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ So sprach es ein großer weiser Mann einst. Doch Tatsache ist, ich bin phasenweise weder edel noch hilfreich noch gut. Es gibt Momente in denen ich diesem Ideal nicht treu sein kann, aus jeweils verschiedenen Gründen.

Doch statt mich dafür zu verachten beginne ich nun dies erst einmal zu akzeptieren.

Genau an dieser Stelle gibt es im Moment auch sehr großes Konfliktpotential in der Interaktion mit meiner Außenwelt. Denn um wirklich zu „erfahren/erleben“ wie es sich anfühlt kein Arschloch sein zu wollen, muss man erstmal Arschloch gewesen sein und sich dann mies fühlen. Erst dann kann sich aus dieser Erfahrung etwas Neues ent-wickeln (auswickeln).

Und dieses „Neue“ ist das Zwischenziel, da geht die Reise hin. In Wirklichkeit ist dieses „Neue“ (gelobte Land) nichts wirklich Neues. Im Gegenteil, es ist das Älteste was überhaupt existiert. Es ist das was uns in Wirklichkeit ausmacht, das was ich wirklich bin…

Wenn man diese Zeilen so liest könnte man das auch für esoterisches Geschwafel halten, ich verbinde damit im Moment allerdings ganz konkrete Erlebnisse und Erfahrungen.

Chemotherapie – Tag 94 – 24.08.2016

Im Moments es echt anstrengend mit mir. Ich meine, ich geh mir selbst auf den Sack mit meiner mürrischen Art und Weise.

Zumal dieser „Zustand“ nun schon relativ lange anhält. Es ist sehr anstrengend. Sicher, mir selbst ist vollkommen klar, dass es sich nur um eine Phase handelt. Ein Abschnitt den ich wohl oder übel durchleben muss. Das wäre auch an sich nicht das Problem. Ich kann mich selbst ankotzen und mir derbe auf die Nüsse gehen, das halte ich aus… 🙂

Nur,… Ich bin ja nicht alleine in dieser Phase meines Lebens. Zum Glück!

Dennoch ergibt sich daraus eine Herausforderung. Meine Familie muss mich ja ebenfalls so ertragen. Und Stress und zusätzlicher Stress ergeben unter’m Strich noch mehr Stress…

Das ist ein Teufelskreis und ich Sucher derzeit nach einem Ausweg. Es kann ja keine Lösung sein, dass ich mich in ein stilles Kämmerlein einschließe oder aus Frust den ganzen Tag im Bett verbringe. Oder doch? Eine Zeit lang mag das okay sein. Zumindestens solange, bis man sich selbst die Situation klar gemacht hat.

An diesem Punkt stehe ich fast. Mir ist klar, dass ich selbst der Einzige bin, der das entspannen kann. Was mir noch nicht klar ist, wie ich das anstellen soll.

Es gab eine Phase des Krebses, da haben mich die körperlichen Beschwerden und Schmerzen erschöpft und in die Knie gezwungen. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Ein Punkt, an dem einfach keine Kraft mehr da war. Keine Kraft da ist. Ich habe diesen Punkt noch nicht überwunden!

Nun stehe ich an einem Punkt an dem ich so langsam mental erschöpft bin… Die Nerven liegen so blank, dass ich für alles und jeden nen Ausraster kriegen könnte, aber so richtig aggressiv. Teilweise beängstigend.

Dabei weiß ich nichtmal genau wieso eigentlich.

Das ist der Clou an dieser ganzen beschissenen Phase gerade… Ich hab nicht die leiseste Ahnung was mich eigentlich so aggressiv macht. Meine Frau gibt sich die allergrößte Mühe die man sich überhaupt nur vorstellen kann, irgendwie mit der Situation vernünftig umzugehen, mehr geht nicht.

Unsere 2 Babys haben ihre eigenen Sorgen und Nöte und es ist meine Aufgabe als Vater für sie da zu sein und sie zu beschützen. Sie zu hegen und zu pflegen, was immer auch kommen mag.

Wie soll das aber gehen wenn ich selbst so unausgeglichen bin?

Vielleicht sollte ich mal mit dieser Aggression raus in den Wald gehen und einfach mal laut schreien. Kreischen bis meine Stimme versagt. Ansonsten weiß ich auch nicht weiter…

Was könnte ein Psychologe für mich tun? Könnte er mir helfen? Irgendwie Mumpitz, der beste Psychologe den ich haben kann ist meine Frau. Allerdings hat sie ja auch nicht unbegrenzte Kräfte…

Es ist im Moment eine recht verzwickte Situation irgendwie.

Aber irgendwie hat es mir glaube ich schon geholfen, das einfach mal so hier hin zu kotzen.

Und,…. Davon abgesehen… Da ist ja nicht nur Hass, Zorn und Wut in mir drin sondern auch jede Menge Liebe die ich ebenfalls wahrnehme. Hopfen und Malz ist also noch nicht verloren… 🙂

Chemotagebuch – Tag 86 – 16.08.2016

Heute soll es mal wieder einen Eintrag geben. Auch wenn mir in diesem Moment jegliche Inspiration fehlt.

Ich bin ja kein guter Geschichtenerzähler. Ich schreibe einen Beitrag wenn… ja, wann eigentlich.

Ich folge dabei einem inneren Impuls. Irgendein Thema zu dem ich glaube etwas zu sagen zu haben.

Wenn ich das gerade so aufschreibe… Dann habe ich den Sinn und Zweck dieses Projektes ja verfehlt, es geht ja darum das aufzuschreiben was mich beschäftigt. Die Chemo sozusagen zu protokollieren, aus meiner Perspektive. Darum geht es mir doch…

Dann gebe ich nun also zu Protokoll: die Chemo hat mich soweit in die Knie gezwungen, mir fehlte jegliche Kraft und Motivation irgendwelche Gedanken aufzuschreiben.

Oft deswegen weil ich in den letzten Wochen (ja es sind mittlerweile schon Wochen) nervlich ziemlich angespannt bin. Teilweise sogar richtig aggressiv. Da ist ne ganze Menge Wut, Zorn und Hass in mir. Sicherlich auch Trauer und Angst. All diese Energien stoßen jetzt an die Oberfläche und ich habe das Gefühl das alle auf einmal kommen. Das ist sehr herausfordernd, vor allem für die Menschen die im Moment mit mir zu tun haben. Ich kann sehr schnell sehr aufbrausend werden. Das flaut zwar meistens genauso schnell wieder ab wie es hochgeschäumt ist, dennoch erzeugt es sehr herausfordernde Situationen im alltäglichen Zusammenleben.

Das ist ein heißes Eisen. Denn natürlich steckt in diesen „brenzlichen Situationen“ unheimliches Entwicklungspotential doch andererseits sind sind sie auch genauso strapazierend für die Nerven aller Beteiligten. Nun ist die Situation allerdings so, dass ich mir das ja nicht aussuche. Ich hab ja nicht plötzlich den „Arschlochschalter“ umgelegt und mir vorgenommen meine Welt zu terrorisieren. Ich will ja niemandem was böses…

In diesem Zusammenhang bin ich sehr dankbar für die Frau die das Schicksal mir an die Seite gestellt hat. Sie ist nicht nur meine Ehefrau sondern auch mein bester Freund und offenster Kritiker. Sie ist in letzter Zeit oft der nasse Waschlappen den ich in die Fresse brauche. Leider auch all zu oft der Prellbock.

Doch wir stellen uns diesen Herausforderungen gemeinsam. Niemand schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu. Wir hinterfragen uns selbstkritisch, besprechen alles.

Dafür liebe ich sie. Auch wenn es manchmal natürlich anstrengend ist.

Niemand hört gern was dem anderen an einem missfällt, schon gar nicht wenn es eine Person ist die uns sehr nahe steht. Niemand hört gerne Kritik, wie berechtigt sie auch sein mag.

Doch diese Art und Weise ist es letztlich die mich gesund macht.

Ich stelle mich meinen Schwächen, was es auch sei. Was auch immer noch ans Tageslicht kommt. Ich begrüße den Zorn, den Hass, die Wut. Ich lade euch ein, ich empfange euch mit offenen Armen. All zu lange habe ich euch „ausgesperrt“. Es ziemt sich nicht seinen Zorn zu zeigen. Wutausbrüche wollen wir nicht haben. Sei artig und still. Mach bloß keinen Ärger.

Immer schön alle Regeln befolgen…

Diese sogenannten „Schwächen“, in der Psychologie wird glaube ich der Begriff „Schatten“ verwendet, der sehr anschaulich ist, haben solange Macht über mich und meine Reaktionen wie ich es nicht schaffe sie zu integrieren.

Sie haben ihren Platz in dem Gebilde das ich „Charakter“ nenne. Sie sind Teil meiner „Person“.

„Persona“ => lat. Maske

Wir alle tragen diese Masken. Und wir alle verstecken die hässlichen und tragen mit Vorliebe die schönen und gesellschaftlich hoch anerkannten Masken zur Schau.

Ich will „echt“ sein. Ich will mir meiner Masken bewusst sein und wissen dass ich nicht diese oder jene Maske BIN sondern dass sie ein Teil von mir ist.

Ich will authentisch sein. Ich will souverän sein, trotz all meiner vermeintlichen „Schwächen“.

Ich will „ich“ sein. Wenn ich scheiße drauf bin will ich mosern und motzen dürfen.

Wenn es mir gut geht will singen, tanzen und klatschen dürfen. Ich will heraus finden was mir entspricht. Ich will mich selbst entdecken.

All das passiert auch gerade. Ich entwickle mich gerade sehr stark weiter, so ist jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Es mag äußerlich nicht den Anschein haben, das kann ich ohnehin nicht beurteilen, da ich mich ja nicht äußerlich wahrnehme.

„Von innen“ betrachtet kann ich jedoch stolz verkünden, ich mache Fortschritte…

Im Umgang mit meinen Aggressionen. Mit dem Zorn. Die Traurigkeit. Die Angst.

Chemotagebuch – Tag 58 – 19.07.2016

Die Tagebucheintragungen werden weniger… Doch ich bleibe am Ball.

Ich befinde mich gerade in einer Phase der „Neuordnung“. Das ist schwer in Worte zu fassen. Viele alte Muster und Glaubenssätze drängen sich nun in den Vordergrund und wollen bewusst betrachtet werden. Viele dieser Muster und Glaubenssätze sind längst überholt, gehören eigentlich gar nicht (mehr) zu mir.

Was bedeutet das konkret? Von welchen Mustern schreibe ich hier. Was soll das bedeuten?!?

Das bedeutet, dass ich mich grundsätzlich in Frage stelle. Es bedeutet dass ich beobachte wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Warum macht mich dieses oder jenes wütend? Warum rege ich mich über dies oder jenes auf? Welche Knöpfe werden da gedrückt?

Sind diese Reaktionen Automatismen, passieren also völlig eigenständig, automatisch? Habe ich also keinen Einfluss darauf wie ich reagiere?

Oft kommt es mir wirklich so vor.

Vor allem „negative“ Reaktionen habe ich scheinbar nicht wirklich unter Kontrolle. Wutausbrüche beispielsweise. Es ist oft so, dass ich in bestimmten Situationen immer gleich „schlecht“ reagiere.

Das blöde daran ist nur, dass es mir hinterher oft leid tut.

Daran erkenne ich, dass dieses alte Reaktionsmuster nicht zu mir gehört.

Da läuft irgend ein Programm ab, und in dem Moment selbst habe ich oft keinen Einfluss darauf.

Daran arbeite ich seit ein paar Monaten intensiver. Ich bin dabei diese Programme zu entlarven. Mich anzunähern, quasi von hinten durch die Brust ins Auge…

Denn es ist ja so, dass ich mich nur „von hinten“ annähern kann. Will heißen, es geschieht und ich schärfe meine Achtsamkeit und bemerke dass gerade dieses oder jenes Programm abläuft. Zu spät, weil die Situation schon geschehen ist.

Doch statt mich darüber zu ärgern, dass ich es wieder nicht hinbekommen habe anders zu reagieren, lerne ich gerade mich dafür zu bedanken, dass ich es überhaupt mitbekomme.

Und beim nächsten Mal fällt es mir etwas früher auf. Immer noch zu spät, weil die Situation schon abgelaufen ist, aber immerhin etwas näher dran als vorher.

Dann häufen sich die Situationen wo ich schon in der Situation selbst realisiere, dass ich gerade dabei bin in ein altes Muster abzudriften. Zwar kann ich noch nicht über meinen Schatten springen um es einfach anders zu machen, aber immerhin wird mir das alte Muster nun schon in der Situation selbst bewusst.

Im nächsten Schritt ist mir schon vor der Situation bewusst, dass gleich dies oder jenes passieren könnte und ich kann mich entsprechend darauf vorbereiten und dann ggf. anders mit der Situation umgehen. Das meine ich mit „von hinten annähern“.

Es ist ein langwieriger Prozess. Es ist ein kräftezehrender Prozess.

Doch es ist gerade wichtig für mich. Welchen Sinn soll das Leben sonst haben?

Chemotagebuch – Tag 53 – 14.07.2016

Ich bin jetzt gerade erstmal im Heilungsprozess angekommen. Erst jetzt, da ich komplett am Boden liege, absolut erschöpft bin. Leer.

Ich ergebe mich. Ich akzeptiere meine Ohnmacht.

Erst dadurch kann Heilung geschehen. Heil-Werdung.

Erst jetzt.

Das leere Glas kann neu gefüllt werden.

Chemotagebuch – Tag 52 – 13.07.2016

Der Kampf „gegen“ den Krebs ist der Kampf gegen mich selbst. „Gegen“ den Krebs kämpfen heißt eigentlich den Krebs akzeptieren. Und der Kampf besteht darin das zu akzeptieren.

Es ist heut ein richtig guter Tag. Ich bin energiegeladen sehr früh aufgestanden. Das ist sehr ungewöhnlich denn die letzten Tage habe ich sehr lange im Bett gelegen. Einfach habe ich die Ruhe gebraucht. Die Ruhe, das Dösen, das „Nichts-Tun“… Nur eben „da-Sein“.

Davon waren die letzten Tage, ja mittlerweile fast schon Wochen geprägt. SEIN.

Und was soll ich sagen Leute…. Offensichtlich hat sich das „rumpimmeln“ gelohnt, was allein mein heutiger Zustand beweist. Aber als wäre das nicht schon genug allein gibt es sogar wissenschaftliche Belege. Messbarer Erfolg.

Am Montag war ich nach 4 Sitzungen, also 8 Wochen Chemotherapie, bei der Nachkontrolle im CT.

Tja, die vorsichtigen Prognosen meines Arztes haben sich bewahrheitet, der Tumor ist ein gutes Stück kleiner geworden. Was für eine Nachricht, auch wenn daran für mich nie ein Zweifel bestand.

Also daran, dass ich wieder gesund werde.

Ob der Erfolg nun nur an den Zytostatika liegt… Ich glaube die Wirkliche „Heilung“ (heil-Werdung) geschieht im Verborgenen, auf einer anderen Ebene.

Nicht im Verstand, man kann das nicht allumfassend „verstehen“, es ist etwas was im Herzen heranwächst. Erst wenn das im Inneren heil wird, kann der Körper nachziehen.

Und da gibt es nichts zu verstehen, das kann nur er- und gelebt werden. Es fließt, es steht nicht.

Ver-stand => Stand => stehen… Nix Bewegung…

Also, nix Leben…

Das Pendel schwingt.

Chemotagebuch – Tag 44 – 05.07.2016

Ein Eintrag pro Woche muss drin sein, irgendeinen Standard muss ich halten.

Muss ich? Wer sagt das? Bin ich sonst ein Versager, ist das Projekt dann gescheitert?!?

Die momentane Phase ist etwas zäh, als würde ich durch einen Morast oder ein Moor waten. Es ist nicht so, dass ich gelähmt wäre, ich habe auch in dieser Phase gute Gedanken die ich aufschreiben könnte… (Frage an den „Quatschi“: Was sind „gute“ Gedanken?)

Es ist nur so, dass ich irgendwie nicht vom Fleck komme. Alles scheint unheimlich langsam von statten zu gehen. Gleichzeitig ziehen die Tage und Wochen wie nichts an mir vorbei wie im Zeitraffer.

Heute bekomm ich schon die 4. Infusion. Besser gesagt es ist der 4. Therapiezyklus, denn ich bekomme ja in der heutigen Sitzung eine Reihe von verschiedenen Chemikalien verabreicht. Insgesamt bin ich knapp 7 Stunden heut hier. Jedesmal…

In Kürze wird auch erste Bilanz gezogen, es wird ein neues CT gemacht. Nicht nur Chemie in den Adern, auch hin und wieder ein paar radioaktive Strahlen zur Ergänzung, der Krebs soll sich ja nicht langweilen…

(T)Humor ist wenn man trotzdem lacht… 🙂

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Im Moment habe ich keine Fragen. Es git nichts was mich gesondert beschäftigt, alles ist klar.

Ich weiß wieso das alles geschieht.

Das Pendel schwingt. TUN < == > SEIN

TUN < == > SEIN

TUN <=

=> SEIN

Chemotagebuch – Tag 37 – 28.06.2016

Ich lebe noch.

Im Moment gleicht dieses „leben“ allerdings mehr einem dahinsiechen. Ich habe kaum Energie für irgendwas. Die kleine Runde mit dem Hund mutet an wie ein Iron-Man Wettkampf.

Ich bin sehr kurzatmig, schnell erschöpft.

Bin dankbar für jeden Moment ohne Schmerzen, zum Glück gibt es diese Momente.

Von Raumeroberung kann dieser Tage keine Rede sein, ich bin froh für jeden Meter Schlachtfeld den ich halten kann.

Verrückt… Jetzt hätte ich mich hier fast gerechtfertigt für das „rumgejammere“.

Bescheuert!