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Hospiztagebuch – Tag 33 – 27.07.2017

Es ist krass. Irgendwie bin ich jetzt auch schon wieder über einem Monat im Hospiz. Ich versteh gar nicht wie das geht, wo ist die Zeit nur hin?

Wenn ich mich nicht verzählt habe (beim Chemotagebuch habe ich mich definitiv mit den Tagen verzählt…!) bin ich den 33. Tag jetzt hier.

Mir ist so, als wäre ich letzte Woche erst „eingeliefert“ worden.

Ich habe allerdings auch erst jetzt, nach gut einem Monat also, das Gefühl hier langsam anzukommen… Ich kann mich mehr und mehr darauf einlassen. Auf die Umgebung hier ja sowieso (ist wirklich idyllisch hier, viel grün, viel Ruhe, viel Natur einfach), das war nie ein Problem.

Da wusste ich sofort „Das ist es!“

Aber auch mit den Menschen hier werde ich langsam warm. Es gab da durchaus diverse „Zwischenfälle“ die wirklich extrem unglücklich gelaufen sind.

Ereignisse die mich sehr geprüft herausgefordert haben und deswegen auch wichtig waren.

Ich will auch garnicht breit treten was genau vorgefallen ist, nur so viel sei gesagt: ich habe meine Lektionen daraus gelernt 🙂

In diesen 32,5 Tagen bisher habe ich mich keinen einzigen Augenblick gelangweilt tatsächlich.

Und dabei schaue ich kein Fernsehen, lese keine Bücher und lass mich auch nicht von Hörbüchern berieseln…

Langeweile ist mir tatsächlich ein Fremdwort bisher.

Viele viele Dinge sind mir in den letzten Tagen und Wochen bewusst geworden. Vieles sehe ich nun klarer und dadurch auch gelassener.

Dennoch ist die Angst nach wie vor meine ständige Begleiterin. Sie dominiert zwar nicht meine Gefühlswelt, allerdings sagt sie mehrmals täglich kurz „Hallo!“.
Ich lade sie mehr und mehr dazu ein zu bleiben, mit mir ein bisschen zu palavern. Mir ein bisschen was aus ihrer Vita vorzutragen…

Doch was soll ich sagen… Die Angst ist eine schüchterne Zeitgenossin, sie bleibt nie sehr lang und gibt auch keine Informationen preis.

Doch ich habe Zeit, unendlich viel Zeit 🙂

Wie geht es mir gesundheitlich gerade?

Nun… vergangenen Freitag hat die Ärztin mein Schmerzmittel umgestellt.

Statt wie bisher Morphin erhalte ich seitdem das 7mal stärkere (synthetische) Hydromorphon.

Dies wurde durch die Ärztin Anfangs jedoch viel zu niedrig dosiert (das ist die Vorgehensweise nach Standardprotokoll, eine Reduktion um 25-50% der bisherigen Dosis) was dazu führte, dass es mir 3 Tage richtig beschissen ging.

Zu allem Überfluss war die Ärztin der Meinung die Pumpe mit einem Code versehen lassen zu müssen, damit ich selber nicht mehr Einfluss auf die Schmerzmittelrate nehmen kann.
Das ist aus der Perspektive der Ärztin schon nachvollziehbar, denn sie kann in die Verantwortung genommen werden wenn mit den Schmerzmitteln was schief läuft. Wir reden hier ja nicht von Aspirin sondern von Medikamenten die dem BtMG unterliegen. Das macht die ganze Sache um ein vielfaches brisanter.

Dazu kommt, dass meine Dosierung alles übersteigt was alle Ärzte bisher gesehen haben.

Nur um sich das etwas vorstellen zu können.
Bei starken Schmerzen wird Hydromorphon mit einer Dosierung von 50-80mg pro Tag verabreicht (über den Tag verteilt).

Ich bekomme allein durch die kontinuierliche Rate ca. 170mg Hydromorphon plus nochmal das was ich an Boli (Sonderzugaben) benötige. So im Schnitt nochmal 70-100mg pro Tag.

Das die Ärztin da ein bisschen besorgt ist, kann glaube ich jedermann nachvollziehen.

Allerdings finde ich es suboptimal, dass mit mir nicht darüber gesprochen wurde, sondern das einfach über meinen Kopf hinweg entschieden wurde und ich nicht informiert wurde…

Da fühle ich mich übergangen und nicht ernst genommen. Das habe ich der Ärztin auch so gesagt und ich hoffe, dass sie das für die Zukunft beherzigt.

Zum Stichwort „Höchstdosierung Hydromorphon“ kann man im Netz nicht besonders viel finden. Außer dass es im Grunde keine Höchstgrenze gibt. Entscheidend ist die Verträglichkeit sowie die Stärke des Schmerzes.

Allerdings wird das Risiko von Nebenwirkungen ja nun auch nicht gerade geringer indem man die Dosis immer weiter erhöht.

Also haben wir uns darauf geeinigt, dass wir ein weiteres Schmerzmittel in die Therapie integrieren, sollte die bisherige Morphonrate nicht mehr ausreichen.

Dazu müsste ich zwar zur klinischen Überwachung für 2-3 Tage ins Krankenhaus, aber da bin ich ja ebenfalls gut aufgehoben, man kennt mich dort… 🙂

Es hat also bis gestern gedauert, bis die korrekte Rate gefunden wurde (ich hatte die Gelegenheit genutzt, als eine Pflegerin vergaß die Pumpe zu sperren, die Rate einzustellen, die ich für sinnvoll erachte, und siehe da: es läuft…).

Schmerzfrei bin ich zwar nicht, aber es ist erträglich.

Von den Schmerzen abgesehen geht es mir sehr gut. Ich fühl mich fast schon mies deswegen, aber streckenweise bin ich wirklich und in Echt glücklich und zufrieden…

Wie soll es nun weiter gehen?

Tja… Gute Frage. Wenn die Schmerzen noch schlimmer werden, trotz stärkerem Schmerzmittel, muss man sich die Frage stellen, was den Schmerz auslöst. Was so starke Schmerzen verursacht kann auf Dauer nicht wirklich gesund sein…

Da ich in den letzten Tagen mehrfach normal abgeführt habe kann der stärkere Schmerz jedoch auch mit den Darmaktivitäten zusammenhängen.

Wenn der Darm längere Zeit inaktiv war und dann wieder beansprucht wird, kann das durchaus stark schmerzen (vergleichbar mit einem Furz der einem verquer liegt, nur zigfach stärker).

Dann wären die Schmerzen ein wahrhaft positives Signal.

Das muss ich jetzt einfach abwarten. Konditionell geht es mir nämlich eher solala, für längere Spaziergänge fehlt es mir nach wie vor an der nötigen Ausdauer. Muss man einfach sehen wie sich das entwickelt, auch im Zusammenhang mit den Schmerzen natürlich…

Ansonsten ist man hier sehr bemüht mir den Aufenthalt so angenehm wie nur irgend möglich zu gestalten.

Werde ich nun hier sterben?

Das wird einzig und allein die Zeit zeigen…

Chemotagebuch – Tag 4 – 26.05.2016

Tag 4 – 26.05.2016

Gestern war ein aggro-Tag. Solche Tage gibt es. Sie fangen schon scheiße an. Ich bin sehr leicht reizbar, rege mich über alles und jeden auf, bin auf Kriegsfuß mit dem Leben.

Auf Kriegsfuß mit mir selbst.

Ich kann nicht sagen ob das mit der Chemo zusammenhängt oder einfach eine Laune ist.

Heute geht es mir jedenfalls nicht wesentlich besser. Wenn es eine Phase ist, dann hält sie länger an als gewöhnlich.

Doch auch jene Phasen gehören dazu und wollen gelebt werden. Ja, vielleicht sogar genossen werden.

Auch die Zeit in der es mir schlecht geht, in der ich mies drauf bin, in der ich mich selbst vielleicht nicht mag… Auch diese Zeit hat ihre Daseinsberechtigung und es ist wichtig auch diese Geschenke anzunehmen.

Was macht man mit solchen Tagen? Ablenkung? Stille?

Einfach warten bis es vorbei geht, getreu dem Motto „Es wird schon alles wieder gut werden“?!? Einfach so…?

An diesen Tagen klopfen die ganzen Leichen an unsere Tür, die wir die ganzen Jahre im Keller verstaut haben. All der Selbsthass, die Selbstzweifel, all die Ängste. Sie klopfen und scharren an der alten Holztür die unsere scheinheilige Alltagswelt von unserem Unbewussten trennt.

Manchmal macht man dann die Musik lauter oder geht im Garten eine rauchen. Dann hört man das Klopfen und Scharren nicht mehr und nach einiger Zeit vergisst man sogar was eigentlich los ist.

An manchen dieser Tage geht man aber auch mal näher ran, an diese Tür. Und man lauscht. Und man berührt die Tür und man fühlt.

Beim nächsten mal gibt man den Leichen Namen. Da ist eventuell eine Leiche namens „Trauer“. Und ihr Kumpel „Wut“.

Und irgendwann dann hat man soviel Mut und Zutrauen gewonnen, dass man die Tür einen Spalt breit öffnet. Und noch ein Stück weiter. Und man stellt sich seinen „Dämonen“…

Ich glaube dieser Prozess ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Bewusstwerdung durch eine ernst zu nehmende Krankheit. Dies beziehe ich zwar auf mich, allerdings glaube ich, dass dies immer zutrifft.

Wenn wir uns nicht freiwillig der Bewusstwerdung zuwenden, werden wir  Wenn ich mich nicht freiwillig der Bewusstwerdung zuwende, werde ich halt auf „anderem Wege“ von ihr erfasst. Es gibt dem kein Entrinnen, genauso wenig wie ein Grashalm sich dagegen wehren kann gen Sonne zu wachsen.

Es gibt nichts als das Leben und alles in ihm entspringt ihm auch. Das ist so offensichtlich und dennoch wehre ich mich ständig dagegen.