Chemotagebuch – Tag 86 – 16.08.2016

Heute soll es mal wieder einen Eintrag geben. Auch wenn mir in diesem Moment jegliche Inspiration fehlt.

Ich bin ja kein guter Geschichtenerzähler. Ich schreibe einen Beitrag wenn… ja, wann eigentlich.

Ich folge dabei einem inneren Impuls. Irgendein Thema zu dem ich glaube etwas zu sagen zu haben.

Wenn ich das gerade so aufschreibe… Dann habe ich den Sinn und Zweck dieses Projektes ja verfehlt, es geht ja darum das aufzuschreiben was mich beschäftigt. Die Chemo sozusagen zu protokollieren, aus meiner Perspektive. Darum geht es mir doch…

Dann gebe ich nun also zu Protokoll: die Chemo hat mich soweit in die Knie gezwungen, mir fehlte jegliche Kraft und Motivation irgendwelche Gedanken aufzuschreiben.

Oft deswegen weil ich in den letzten Wochen (ja es sind mittlerweile schon Wochen) nervlich ziemlich angespannt bin. Teilweise sogar richtig aggressiv. Da ist ne ganze Menge Wut, Zorn und Hass in mir. Sicherlich auch Trauer und Angst. All diese Energien stoßen jetzt an die Oberfläche und ich habe das Gefühl das alle auf einmal kommen. Das ist sehr herausfordernd, vor allem für die Menschen die im Moment mit mir zu tun haben. Ich kann sehr schnell sehr aufbrausend werden. Das flaut zwar meistens genauso schnell wieder ab wie es hochgeschäumt ist, dennoch erzeugt es sehr herausfordernde Situationen im alltäglichen Zusammenleben.

Das ist ein heißes Eisen. Denn natürlich steckt in diesen „brenzlichen Situationen“ unheimliches Entwicklungspotential doch andererseits sind sind sie auch genauso strapazierend für die Nerven aller Beteiligten. Nun ist die Situation allerdings so, dass ich mir das ja nicht aussuche. Ich hab ja nicht plötzlich den „Arschlochschalter“ umgelegt und mir vorgenommen meine Welt zu terrorisieren. Ich will ja niemandem was böses…

In diesem Zusammenhang bin ich sehr dankbar für die Frau die das Schicksal mir an die Seite gestellt hat. Sie ist nicht nur meine Ehefrau sondern auch mein bester Freund und offenster Kritiker. Sie ist in letzter Zeit oft der nasse Waschlappen den ich in die Fresse brauche. Leider auch all zu oft der Prellbock.

Doch wir stellen uns diesen Herausforderungen gemeinsam. Niemand schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu. Wir hinterfragen uns selbstkritisch, besprechen alles.

Dafür liebe ich sie. Auch wenn es manchmal natürlich anstrengend ist.

Niemand hört gern was dem anderen an einem missfällt, schon gar nicht wenn es eine Person ist die uns sehr nahe steht. Niemand hört gerne Kritik, wie berechtigt sie auch sein mag.

Doch diese Art und Weise ist es letztlich die mich gesund macht.

Ich stelle mich meinen Schwächen, was es auch sei. Was auch immer noch ans Tageslicht kommt. Ich begrüße den Zorn, den Hass, die Wut. Ich lade euch ein, ich empfange euch mit offenen Armen. All zu lange habe ich euch „ausgesperrt“. Es ziemt sich nicht seinen Zorn zu zeigen. Wutausbrüche wollen wir nicht haben. Sei artig und still. Mach bloß keinen Ärger.

Immer schön alle Regeln befolgen…

Diese sogenannten „Schwächen“, in der Psychologie wird glaube ich der Begriff „Schatten“ verwendet, der sehr anschaulich ist, haben solange Macht über mich und meine Reaktionen wie ich es nicht schaffe sie zu integrieren.

Sie haben ihren Platz in dem Gebilde das ich „Charakter“ nenne. Sie sind Teil meiner „Person“.

„Persona“ => lat. Maske

Wir alle tragen diese Masken. Und wir alle verstecken die hässlichen und tragen mit Vorliebe die schönen und gesellschaftlich hoch anerkannten Masken zur Schau.

Ich will „echt“ sein. Ich will mir meiner Masken bewusst sein und wissen dass ich nicht diese oder jene Maske BIN sondern dass sie ein Teil von mir ist.

Ich will authentisch sein. Ich will souverän sein, trotz all meiner vermeintlichen „Schwächen“.

Ich will „ich“ sein. Wenn ich scheiße drauf bin will ich mosern und motzen dürfen.

Wenn es mir gut geht will singen, tanzen und klatschen dürfen. Ich will heraus finden was mir entspricht. Ich will mich selbst entdecken.

All das passiert auch gerade. Ich entwickle mich gerade sehr stark weiter, so ist jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Es mag äußerlich nicht den Anschein haben, das kann ich ohnehin nicht beurteilen, da ich mich ja nicht äußerlich wahrnehme.

„Von innen“ betrachtet kann ich jedoch stolz verkünden, ich mache Fortschritte…

Im Umgang mit meinen Aggressionen. Mit dem Zorn. Die Traurigkeit. Die Angst.

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