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Chemotagebuch – Tag 126 – 25.09.2016

In den letzten Tagen ist es mir richtig elend. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich mich derzeit an einem neuen Tiefpunkt befinde.

Die Schmerzen nehmen zu, die Übelkeit macht mir sehr zu schaffen, ich verliere weiter Gewicht und entsprechend fehlt mir auch einfach viel Kraft.

Auch mental ist es eher so ein „dahinvegitieren“, kann gut sein dass ich mich da wiederhole. Es ist ja Teil dieses „Experiments“ (damit meine ich diesen Chemo-Tagebuch-Blog) dass ich es fließen lasse. Das was gerade da ist.

Ich will dann dieses Sammelsurium an Gedanken in einem Rutsch lesen, da bin ich gespannt drauf…

Das wirklich „Schlimme“ an meiner momentanen Situation ist die Hilflosigkeit mit der ich dieser ganzen Scheiße gegenübertrete. Ich weiß nicht was ich machen soll. Mir fehlt einfach die Kraft und die Motivation für alles gerade.

Was also tun? Es einfach aussitzen und hoffen dass es von allein wieder besser wird?!? Mir noch mehr Medikamente (egal ob nun pflanzlich oder chemisch) einwerfen?!?

Ich weiß es eben einfach nicht.

Nach der Phase der Wut, des Zorns und der Aggressionen befinde ich mich nun im tiefen Tal der Ohnmacht, der Traurigkeit und der Hilflosigkeit. „Depression“ ging mir mehrfach in den letzten Tagen durch den Kopf. Wobei das ja im Sinne des Wortes etwas sehr positives ist.

Denn ebenso wie bei der Ent-Täuschung, bei der die Täuschung entfernt wird, wird ja bei der De-Pression auch etwas entfernt. Nämlich der Druck (engl. pressure).

Ist es also Ohnmacht und Traurigkeit die übrig bleibt wenn der Druck weg ist? oder ist das nur eine Illusion, ein… sagen wir „ungünstiger Betrachtungswinkel“ auf die Situation.

Vielleicht ist das was sich wie Ohnmacht (ohne Macht sein) anfühlt in Wirklichkeit auch Erleichterung. Vielleicht hindert mich meine (Verlust-)Angst daran es so wahrzunehmen. Die Angst davor etwas wichtiges zu verlieren.

Etwas, von dem ich dachte/denke dass es zu mir gehört.

Es wird sich zeigen. Auch diese Phase will und wird gemeistert werden und ich werde wissen was es bedeuten soll.

Bis dahin übe ich mich in Dankbarkeit für das was wir (meine Familie und ich) bisher schon erreicht haben. Für all das was gut läuft, denn es gibt ja nach wie vor sehr positive Aspekte in meinem Leben.

Und ich lausche in mich hinein und suche die Stille…

Wer bin ich?

Chemotagebuch – Tag 110 – 09.09.2016

Aus dem „das muss mir gehören/ich will es besitzen“ wird „mir reicht es, es zu erfahren/erleben“

Im ersteren Fall ziehen wir „unsere Grenze“ sehr eng. Es handelt sich um ein „Egobedürfnis“.

Die Grenze ist meistens unsere Haut, alles was „außerhalb“ dieser Grenze existiert betrachten wir als „Außenwelt“, als „nicht zu uns gehörig“ oder „getrennt von uns“.

Daher kann überhaupt das Bedürfnis entstehen etwas besitzen zu wollen. Denn man kann ja nur etwas besitzen wollen, was noch nicht „zu einem“ gehört.

Ist das Bewusstsein weit genug wird aus dem Ego ein größeres „Ego“, die Grenzen werden weiter… (bis hin zur Auflösung jener Struktur die wir als „Ego“ bezeichnen)

Wie kam ich darauf?….

Woher kommt der „Eroberungswunsch“, der Wunsch etwas besitzen zu wollen… Diese Frage ging mir durch den Kopf.

Ansonsten… Mir ist seltsam zumute. Mental. Einerseits möchte ich gern in die Welt hinaus und etwas erleben. Andererseits fehlt mir gerade völlig die Motivation für alles. Dies ist ein wirklich seltsamer Zwiespalt.

Depressive Verstimmung? Hm, nein, irgendwie nicht. Es ist ja nicht so das ich mich überflüssig fühle, oder nicht geliebt oder so…

Es fehlt nur einfach gerade ein wenig an der nötigen Motivation.

Ich weiß es gerade nicht genau, jedoch kann das durchaus mit dem obigen „Sachverhalt“ in Zusammenhang stehen.

Denn es ist ja so, wenn ich noch ein sehr stark ausgeprägtes Ego habe, mit vielen „ich-will-haben-Ego-Wünschen“, dann habe ich ja genug Handlungsmotivation, immer solange, bis ich das jeweilige Objekt der Begierde dann besitze. Danach löst sich die Motivation auf und das Ego sucht sich etwas Neues, was es gern besitzen möchte.

Wenn ich nun annehme, dass durch den Krebs und den damit einhergehenden Erfahrungen mein Bewusstsein so stark erweitert wurde, dass die „Egogrenze“ ebenfalls gewachsen ist, dann entfällt plötzlich der Motivation „Ich-will-besitzen“. Eventuell befinde ich mich gerade in dieser Phase. Wie gesagt weiß ich das gerade selber nicht so genau.

In dieser Woche war auch eine weitere Kontrolluntersuchung, ich hatte mal wieder das Vergnügen 1 Liter Kontrastmittel trinken zu dürfen und mich der Strahlung des Computer-Tomographen auszusetzen. Eine der wenigen Möglichkeiten den inneren Bauchbereich für Mediziner optisch zugänglich zu machen.

Dabei wurde festgestellt, dass der Tumor weiter geschrumpft ist. Das ist eine sehr aufbauende Information.

Somit ergibt sich folgender Verlauf (Größe des Tumors):

November ´15 => 4cm

April ´16 => 7cm

Juni ´16 => 4cm

September ´16 => 2cm

Für einen Schulmediziner sind das Hammerergebnisse. Mein Onkologe sagte, man erwarte solche Ergebnisse nicht einmal nach 6 Monaten intensiver Chemotherapie.

Na immerhin…

Übrigens ist die „Zielsetzung“ der Ärzte nicht, solange zu therapieren bis der Tumor ganz weg ist. Nein, nein. Weit gefehlt. Total verrückt. Der Arzt sagt, man therapiere für gewöhnlich solange, bis der Tumor wieder anfängt zu wachsen. Öhm…. Ja, ne, is kla…

Völlig verquer, aus meiner Sicht… Nicht?

Ich ging völlig naiv davon aus, dass wir solange therapieren bis der Tumor weg ist… Hach, ich kleines Dummerchen 😀 Naivling… *tz*tz*tz*

Naja, wie dem auch sei. Meine „Zielsetzung“ ist jedenfalls den Tumor komplett aus meinem Körper zu verbannen. Wobei es sicherlich auch unproblematisch wäre, wenn ein geringer Rest in meinem Körper verbleibt. Das Tumorgewebe scheint ja derzeit keine Organtätigkeit einzuschränken.

Auf jeden Fall mache ich nun eine Woche Chemo-Pause.

Da ich an einer Studie teilnehme, entscheidet sich in der Zwischenzeit in welche Gruppe („Kohorte“ wie der Mediziner sagt) ich lande.

Gruppe eins bekommt zusätzlich zum Standardprogramm einen Antikörper.

Gruppe zwei ist die Kontrollgruppe.

Wie lange soll das jetzt so weitergehen?

Tja. Aus schulmedizinischer Sicht ist das ein „Open-end-Programm“. Auch wieder witzig… Es geht dem Arzt gar nicht darum die Krankheit zu heilen. Es scheint so als handle es sich stets nur um lebenserhaltende Maßnahmen. Wirtschaftlich total sinnvoll. Man hält den Kunden, ähm, Patienten in einer Schwebe zwischen Leben und Tod.

Ein bisschen schade, dass das den meisten Ärzten dies auch zu reichen scheint. Ihre Motivation ist demnach nicht die Heilung des Patienten (Heilwerdung => heil werden => „ganz“ werden), sondern lediglich die Lebensverlängerung.

Dies soll so nicht bleiben.

Chemotagebuch – Tag 105 – 04.09.2016

Es gibt immer noch Momente in denen ich einfach nicht mehr wollen will. Momente größter Anspannung. Momente der Schwäche.

Doch gerade in diesen Momenten steckt eine sehr tiefgreifende Erkenntnis, nicht nur Erkenntnis für den Verstand sondern ein tiefgreifendes Erlebnis.

Diese Momente der Schwäche und Verzweiflung sind da, ob es mir passt oder nicht. Und ich muss sie durchleben. Ob es mir passt oder nicht. Weglaufen zählt nicht. Nicht nur das… Weglaufen ist schlicht und ergreifend nicht möglich!

Es gibt kein Entrinnen.

Das ist eine seltsame Konstellation irgendwie. Denn einerseits wird mir meine Hilflosigkeit völlig bewusst. Meine Machtlosigkeit. Meine Ohnmacht (=> ohne Macht zu sein).

Aber andererseits ist das auch irgendwie befreiend. Es fällt ein Druck von mir ab. Denn wenn ich ohnehin keine Macht drüber habe, dann kann ich es auch einfach akzeptieren.

Das entspannt dann den Moment, diese Momente des nichtmehr wollen wollens.

Ich lass dann einfach alles „über mich“ hinweg schwappen sozusagen. Von „außen“ könnte man dann sogar den Eindruck gewinnen ich habe wirklich aufgegeben. Doch in Wahrheit sammle ich nur neue Kräfte

Und so kann es von „außen“ auch insgesamt gerade so aussehen als sei dies eine Phase der Stagnation und des Stillstandes. In Wirklichkeit passiert „in mir“ jedoch gerade eine ganze Menge.

Es löst sich vieles, nach und nach. Ich kann so nach und nach mit einigen Dingen wesentlich entspannter umgehen. Nicht von jetzt auf gleich. Nicht von heut auf morgen. Eher von Situation zu Situation. Wie ein Muskel den man trainiert, der ist ja auch nicht von heut auf morgen gewachsen…

Körperlich macht mir die Chemo zunehmend zu schaffen. Ich habe förmlich das Gefühl mich von innen aufzulösen, das ist schwer zu begreifen. Mein Haut wird immer dünner. Das Wort das mir dazu regelmäßig in den Sinn kommt ist „Pergament“. Alt und brüchig, gleichzeitig aber noch geschmeidig. Jedoch abbauend.

Ironischer Weise ist Pergament ja aus Tierhaut gemacht, mein Unterbewusstsein ist ein Schelm.

Auch kräftetechnisch baue ich kontinuierlich ab. Konditionell. Ich werde „brüchig“, physisch instabil. Psychisch hingegen stabilisiere ich mich gerade, auch wenn es wie gesagt von „außen“ anders aussehen mag. Denn auch diese Momente der Schwäche können zur Stärke führen, je nach dem wie ich damit umgehe. Indem ich diese Schwäche endlich annehme. Und ich meine an der Stelle auch Charakterschwäche, vor allem Charakterschwäche!

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ So sprach es ein großer weiser Mann einst. Doch Tatsache ist, ich bin phasenweise weder edel noch hilfreich noch gut. Es gibt Momente in denen ich diesem Ideal nicht treu sein kann, aus jeweils verschiedenen Gründen.

Doch statt mich dafür zu verachten beginne ich nun dies erst einmal zu akzeptieren.

Genau an dieser Stelle gibt es im Moment auch sehr großes Konfliktpotential in der Interaktion mit meiner Außenwelt. Denn um wirklich zu „erfahren/erleben“ wie es sich anfühlt kein Arschloch sein zu wollen, muss man erstmal Arschloch gewesen sein und sich dann mies fühlen. Erst dann kann sich aus dieser Erfahrung etwas Neues ent-wickeln (auswickeln).

Und dieses „Neue“ ist das Zwischenziel, da geht die Reise hin. In Wirklichkeit ist dieses „Neue“ (gelobte Land) nichts wirklich Neues. Im Gegenteil, es ist das Älteste was überhaupt existiert. Es ist das was uns in Wirklichkeit ausmacht, das was ich wirklich bin…

Wenn man diese Zeilen so liest könnte man das auch für esoterisches Geschwafel halten, ich verbinde damit im Moment allerdings ganz konkrete Erlebnisse und Erfahrungen.

Chemotagebuch – Tag 16 – 07.06.2016

Nun sitze ich also das 2. Mal hier in der Praxis um mich vergiften zu lassen.

„Einmal tief einatmen bitte!“ *pieks*

Es ist und bleibt ein unangenehmes Gefühl gestochen zu werden. Ob nun von einer Biene/Mücke/Wespe/etc. oder von einer Nadel spielt dabei keine Rolle.

Man sagt zwar man gewöhnt sich an alles… Ob ich mich je daran gewöhnen werde? Ob ich das jemals will? Also, mich daran gewöhnen…

Nach ein paar Minuten merkt man von der Nadel die in den Port gesteckt wurde fast nichts mehr.

Das ist auch gut so, denn die Nadel bleibt da ja 3 Tage drin. 3 Tage in denen ich nicht duschen darf… Und das bei den Temperaturen… Naja, erstunken ist bis jetzt ja glaub ich noch niemand…

Übrigens bin ich gerade sehr glücklich irgendwie. Das ist verrückt, weil ich ja „totsterbenskrank“ bin und man könnte erwarten, dass mich das deprimiert oder so…

Nein, dem ist nicht so. Im Großen und Ganzen bin ich im Moment echt sehr sehr glücklich.

Das liegt zum einen natürlich an meiner wundervollen Familie, aber nicht zuletzt auch an meiner Art und Weise das Leben wahr zu nehmen.

Weiß nicht wie ich es besser mit Worten fassen kann.

.oO( Worte sind Hülsen für was, was nicht in Hülsen passt… )

Es gibt ja diesen Spruch „Lebe Dein Leben so als könnte jeder Moment Dein letzter sein“

Okay, klingt für manche nach Intensivstation 😀

Für mich jedoch nicht. Zwar lebe ich jetzt nicht so als könnte ich jeden Moment sterben, ich bin schon zuversichtlich dass ich den Tumor fertig mache, aber irgendwie lebe ich mein Leben intensiver, bewusster.

Aber  nicht nur das, ich lebe auch immer mehr „mein“ eigenes Leben. Ich besinne mich auf meine Wünsche und Bedürfnisse. Vielleicht nimmt dies im Moment hier und da etwas extreme Formen an, das kann ich selbst nur schwer beurteilen… Möglicherweise muss ich da noch einen gesunden Mittelweg finde, mal schauen. Ein Mittelweg zwischen Egoschiene und Weltenretter…

Ergibt das für Dich Sinn?!? 🙂

Chemotagebuch – Tag 9 – 31.05.2016

Ich habe das Gefühl ich baue täglich ab. Konditionell wie auch nervlich. Ich hoffe das legt sich wieder, besser gesagt ich hoffe ich habe die Kraft diese Phase zu durchschreiten.

Es gibt Momente der Schwäche. Momente in denen man ich aufgeben will. Einfach keine Kraft mehr hat habe.

Momente in denen mir der Tod zuwinkt, zu sich herüber winkt… „Komm her, komm her zu mir. Hier hast Du endlich Deine Ruhe. Frieden…“

Ich müsste lügen wenn ich behaupten würde ich bin die ganze Zeit stark und kampfbereit.

So ist es nicht. Ich kann mir auch nur sehr schwer vorstellen, dass jemand die Energie aufwenden kann um stets und ständig zuversichtlich und optimistisch zu sein.

Ich glaube auch, es ist gar nicht wichtig und es kommt nicht darauf an immer 100% „positiv“ zu sein.

Zweifeln ist okay, prinzipiell.

Wichtig ist nur, dass man sich die Zweifel bewusst macht ich mir die Zweifel bewusst mache. Das einem mir klar ist, dass da auch noch Zweifel vorhanden ist/sind. Besser so, als sich mir einzureden man ich hätte niemals Momente der Schwäche…

Und so hoffe ich, dass ich diese Momente/Phasen der Schwäche erhobenen Hauptes durchschreite.

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Das Beste draus machen, wenn schon nicht in Allem das Positive sehen dann doch wenigstens nicht klagen. Kleine Schritte und einer nach dem anderen.

Ein Sturz ist keine Niederlage sondern nur ein weiterer Meilenstein.