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Krebstagebuch – Tag 406 – 19.06.2017

Mein Zustand ist nach wie vor „stabil“ was im Grunde nur bedeutet, dass ich noch lebe.

Ich übergebe mich regelmäßig, meist morgens und abends. Danach ist die Übelkeit zumindestens verschwunden. Der geblähte Bauch ebenfalls. Es geht mir etwas besser.

Dass ich derzeit auch kein Blut erbreche ist einigermaßen ermutigend. Es bedeutet jedenfalls, dass es bisher nicht geblutet hat.

Es bedeutet jedoch nicht, dass es nicht wieder bluten wird…

Das ist der grausame Zwiespalt der durchaus das Potential hat mich zu zerreißen. Das jedoch zuzulassen käme einer Aufgabe gleich. Dann hätte ich mir das alles auch ersparen können…

Nein, jedenfalls SO wird es nicht zu Ende gehen.

Ich mag den Ausdruck „Kampf“ in diesem Zusammenhang nicht. Man sagt gern „Bis zum Ende wird gekämpft“

Nein! Ich will nicht kämpfen. Gegen wen oder was denn? Gegen mich selbst? Ein Kampf GEGEN den Krebs kommt einem Kampf gegen mich selber gleich. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Krebs nicht mein Feind ist. Keine Krankheit ist mein Feind.

Ich glaube, dass jede Krankheit die Sprache meines Körpers ist. Er schreit „Schau hierher!“

Kein Arzt kann mir sagen woher der Tumor kommt. Genauer gesagt warum er plötzlich beginnt zu wachsen. Was da biologisch vor sich geht kann man einigermaßen erklären. Warum das bei dem einen aber plötzlich zu wuchern beginnt und bei dem anderen einfach direkt wieder abgebaut wird ist schulmedizinisch unklar.

Außerhalb der Schulmedizin findet man allerdings Lösungsansätze. Und einer dieser Ansätze beinhaltet eben, dass man mal seinen Standpunkt verlässt. Das man einfach mal die Perspektive verändert und damit beginnt „Krankheiten“ nicht mehr als Feinde zu betrachten…

Der Tumor ist ein Teil von mir, es ist mein Zellmaterial und es wächst in meinem Körper. Wenn ich gegen diesen Tumor kämpfe, kämpfe ich gegen mich selbst!

Ich bin mir sicher, dass ich diesen Gedanken im Verlaufe des Tagebuchs bereits mehrfach schriftlich fixiert habe. Das zeigt jedoch nur dessen Wichtigkeit (nicht unbedingt dessen Richtigkeit…)

Wie geht es mir jetzt gerade? Das ist eine sehr schwierige Frage (die mir natürlich andauernd gestellt wird).

Mir geht es gut…

Ist das Glaubhaft? Glaube ich mir das selbst? Kann es mir überhaupt „gut“ gehen?
Künstlich ernährt, bis Unterkante Oberlippe mit Morphin und THC vollgepumpt, von Übelkeit und Erbrechen geplagt… Und das sind nur die körperlichen Aspekte.

Gleichzeitig begleitet mich die Angst jeden Moment erneut einen Zusammenbruch zu erleiden.

Ich weiß gerade nicht ob ich so einen Schock schonmal näher erläutert habe. Und gerade frage ich mich auch, ob das überhaupt hierher gehört…

Ich meine, will ich mich daran irgendwann mal erinnern? Hat es insofern einen „therapeutischen Nutzen“ als das es mich vor neuem Unheil bewahren kann?!?

Ich glaube das ist nicht notwendig. Es genügt wenn ich hier vermerke, dass ich Todesangst hatte!

Ich habe in den letzten 2 Wochen 2 mal direkt hintereinander verdammte, scheiß Todesangst gehabt! Und das in Situationen in denen niemand sterben will…

Diese Erlebnisse haben sich förmlich eingebrannt und das obwohl ich sonst alles vergesse (dem Morphin/THC sei dank).

Damit ins Reine zu kommen… Die unmittelbare Möglichkeit des eigenen Todes vollends zu akzeptieren (denn anders werde ich diese Angst nicht los werden). Das ist nun meine große Auf-Gabe (bei der ich möglichst nicht aufgebe).

Die Möglichkeit mich hier auszudrücken hilft mir auf jeden Fall dabei. Es niederzuschreiben (teilweise immer und immer wieder das Selbe) hilft mir dabei es bewusst zu machen. Es immer wieder auch kritisch zu hinterfragen. Mich damit auseinanderzusetzen.

Und warum mache ich das Öffentlich? Ich meine das am Anfang irgendwann mal erklärt zu haben. Leider kann ich mich nicht daran erinnern wie ich es damals begründet habe.

Wenn ich mir diese Frage heute stelle… Nun, wieso mache ich das öffentlich…

Es ist auf jeden Fall kein „Ego-Ding“ wo es mir darum geht mich zu präsentieren oder so, eher genau das Gegenteil.

Außerdem möchte ich „Außenstehenden“ einfach die Möglichkeit geben sich „damit“ (mit dieser Situation und mit Krebs an sich) auf andere Art und Weise auseinanderzusetzen. Möglicherweise Antworten auf Fragen zu erhalten die sie nicht gestellt haben. Ich würde mich freuen wenn es oft zu Momenten kommt wo Du denkst „Joh, SO habe ich das bisher noch gar nicht gesehen“.

Es geht mir nicht darum Recht haben zu wollen. Es ist mir eher unangenehm so oft „Da hast Du Recht!“ zu hören. Ich will mich ja nicht als Klugscheißer aufspielen. Das ist nicht meine Ambition.

Ich möchte gern „Bewusstheit“ weitergeben.

Und dieser Blog gibt mir die Möglichkeit dazu quasi rumzuklugscheißern ohne anderen ungefragte Ratschläge zu geben 😀 😀 😀

Chemotagebuch – Tag 105 – 04.09.2016

Es gibt immer noch Momente in denen ich einfach nicht mehr wollen will. Momente größter Anspannung. Momente der Schwäche.

Doch gerade in diesen Momenten steckt eine sehr tiefgreifende Erkenntnis, nicht nur Erkenntnis für den Verstand sondern ein tiefgreifendes Erlebnis.

Diese Momente der Schwäche und Verzweiflung sind da, ob es mir passt oder nicht. Und ich muss sie durchleben. Ob es mir passt oder nicht. Weglaufen zählt nicht. Nicht nur das… Weglaufen ist schlicht und ergreifend nicht möglich!

Es gibt kein Entrinnen.

Das ist eine seltsame Konstellation irgendwie. Denn einerseits wird mir meine Hilflosigkeit völlig bewusst. Meine Machtlosigkeit. Meine Ohnmacht (=> ohne Macht zu sein).

Aber andererseits ist das auch irgendwie befreiend. Es fällt ein Druck von mir ab. Denn wenn ich ohnehin keine Macht drüber habe, dann kann ich es auch einfach akzeptieren.

Das entspannt dann den Moment, diese Momente des nichtmehr wollen wollens.

Ich lass dann einfach alles „über mich“ hinweg schwappen sozusagen. Von „außen“ könnte man dann sogar den Eindruck gewinnen ich habe wirklich aufgegeben. Doch in Wahrheit sammle ich nur neue Kräfte

Und so kann es von „außen“ auch insgesamt gerade so aussehen als sei dies eine Phase der Stagnation und des Stillstandes. In Wirklichkeit passiert „in mir“ jedoch gerade eine ganze Menge.

Es löst sich vieles, nach und nach. Ich kann so nach und nach mit einigen Dingen wesentlich entspannter umgehen. Nicht von jetzt auf gleich. Nicht von heut auf morgen. Eher von Situation zu Situation. Wie ein Muskel den man trainiert, der ist ja auch nicht von heut auf morgen gewachsen…

Körperlich macht mir die Chemo zunehmend zu schaffen. Ich habe förmlich das Gefühl mich von innen aufzulösen, das ist schwer zu begreifen. Mein Haut wird immer dünner. Das Wort das mir dazu regelmäßig in den Sinn kommt ist „Pergament“. Alt und brüchig, gleichzeitig aber noch geschmeidig. Jedoch abbauend.

Ironischer Weise ist Pergament ja aus Tierhaut gemacht, mein Unterbewusstsein ist ein Schelm.

Auch kräftetechnisch baue ich kontinuierlich ab. Konditionell. Ich werde „brüchig“, physisch instabil. Psychisch hingegen stabilisiere ich mich gerade, auch wenn es wie gesagt von „außen“ anders aussehen mag. Denn auch diese Momente der Schwäche können zur Stärke führen, je nach dem wie ich damit umgehe. Indem ich diese Schwäche endlich annehme. Und ich meine an der Stelle auch Charakterschwäche, vor allem Charakterschwäche!

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ So sprach es ein großer weiser Mann einst. Doch Tatsache ist, ich bin phasenweise weder edel noch hilfreich noch gut. Es gibt Momente in denen ich diesem Ideal nicht treu sein kann, aus jeweils verschiedenen Gründen.

Doch statt mich dafür zu verachten beginne ich nun dies erst einmal zu akzeptieren.

Genau an dieser Stelle gibt es im Moment auch sehr großes Konfliktpotential in der Interaktion mit meiner Außenwelt. Denn um wirklich zu „erfahren/erleben“ wie es sich anfühlt kein Arschloch sein zu wollen, muss man erstmal Arschloch gewesen sein und sich dann mies fühlen. Erst dann kann sich aus dieser Erfahrung etwas Neues ent-wickeln (auswickeln).

Und dieses „Neue“ ist das Zwischenziel, da geht die Reise hin. In Wirklichkeit ist dieses „Neue“ (gelobte Land) nichts wirklich Neues. Im Gegenteil, es ist das Älteste was überhaupt existiert. Es ist das was uns in Wirklichkeit ausmacht, das was ich wirklich bin…

Wenn man diese Zeilen so liest könnte man das auch für esoterisches Geschwafel halten, ich verbinde damit im Moment allerdings ganz konkrete Erlebnisse und Erfahrungen.