Chemotagebuch – Tag 166 – 04.11.2016

Tag 12 in der Raphaelsklinik und nun ist es also doch soweit, ich werde im wahrsten Sinne des Wortes mit Morphin vollgepumpt.

Achtung Wortwitz! 😮

Spaß beiseite. Ich wurde nun umgestellt, statt Morphinpflaster und Spritzen bei Bedarf hänge ich nun an einer Schmerzpumpe, oder die Schmerzpumpe hängt an mir, je nach Perspektive…

Ich bekomme das Morphin nun direkt über den Port in die Venen getröpfelt, gepumpt…

Das funktioniert soweit echt gut. Es wird eine permanente Menge über den Tag verteilt abgegeben und bei Bedarf kann ich selber noch eine extra Portion Schmerzfreiheit anfordern, per Knopfdruck.

Nebenwirkungen des Morphins sind allerdings auch vorhanden, klar. Wir reden hier ja nicht von Aspirin. Beispielsweise kribbeln die Finger- und Fußspitzen leicht. Ich bin müder als sonst, Auto fahren würde ich mir in meinem momentanen Zustand eher verkneifen.

Ansonsten geht es mir den Umständen entsprechen,… gut. Ja, ich würde tatsächlich sagen mir geht es soweit gut.

Durch die Schmerzpumpe Bin ich das erste mal seit langer Zeit über einen längeren Zeitraum beinahe völlig schmerzfrei.

Wenn ich jetzt noch 10-20 kg Gewicht zulege ist alles topp!

Das ist auch unsere Zielsetzung hier. Und ich muss meine Aussage von vor ein paar Tagen etwas korrigieren. Denn hier auf der Palliativstation wurde ich tatsächlich nach meinen Zielen gefragt, respektive was ich mir von dem Aufenthalt hier erhoffe. Das ist stark.

Zielsetzung ist Schmerzfreiheit und Gewichtszunahme. Und wir sind auf einem guten Weg.

Chemotagebuch – Tag 163 – 01.11.2016

Was ist hier eigentlich los?

Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit häufiger. In Verbindung mit den verschiedensten Zusammenhängen. Was sind das nur für Zeiten in denen wir leben?

Geprägt von Gewalt, Hass, Lügen, Intrigen, Leid und Krankheit. Was sind das nur für Zeiten?

Viele Menschen werden an den Rand ihrer körperlichen und/oder geistigen Grenzen geführt. Einige drehen einfach durch. Andere werden drogenabhängig. Wieder andere brechen einfach zusammen (Burn-out, Depressionen). Es mag noch unzählige weitere Möglichkeiten geben wie Menschen mit ihren Krisen umgehen. Tatsache ist jedenfalls, dass die Zusammenbrüche sich häufen. Krebs ist eines der offensichtlichsten Symptome des immer größer werdenden Stresses der uns alle überrollt.

Um so wichtiger, gerade in solchen Zeiten, ist es sich kleine „Oasen“ in seinem Leben zu erschaffen. Das kann alles mögliche sein. Ein Bild. Eine Idee. Ein bestimmter Tee. Ein Ritual. Eine Idee. Ein Ideal! Eben kleine Oasen, die einem immer wieder Kraft geben. Es liegt in unserer Verantwortung uns diese Oasen selber zu erschaffen.

Leider wurde den meisten von nicht beigebracht wie wir das machen sollen. Geschweige denn dass es überhaupt  möglich ist.

Die Möglichkeit Kraft aus sich selbst heraus zu schöpfen ist so unendlich wertvoll und genauso tabu scheint dieses Thema in der herkömmlichen Erziehung zu sein. Deswegen verwundert es nicht, dass hier entsprechende Erfahrungen und vor allem Bewusstheit fehlt.

Denn ich bin überzeugt, dass jeder Mensch diese Möglichkeit unbewusst bereits einsetzt. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Lebensprinzip das alles und jeden durchdringt. Nur der Grad der Bewusstheit variiert eben sehr stark.

Ich befinde mich derzeit immer noch in der Raphaelsklinik, jetzt mittlerweile den 9. Tag.

Den Rest dieser Woche werde ich wohl auch noch hier verbringen, eventuell kann ich das Wochenende wieder gemeinsam mit meiner Familie verbringen.

Meine Familie bietet mir unzählige dieser kleinen Oasen aus denen ich meine Kraft schöpfe.

Was hat mir der Aufenthalt hier gebracht? Nunja, verschiedenes. Auf keinen Fall betrachte ich dies hier als vergeudete Zeit. Denn traurige Wahrheit ist leider, dass ich in meinem aktuellen Zustand zuhause ohnehin keine große Hilfe bin. Weder bei der Haushaltsführung noch bei der Kinderbetreuung bin ich derzeit eine Unterstützung

Insofern habe ich in den vergangenen Tagen die Ruhe auch mehr oder weniger ohne schlechtes Gewissen nutzen können. Ich habe wieder ein wenig an Gewicht zugelegt und bin wieder etwas zu Kräften gekommen. So zu Kräften, dass auch wieder regelmäßige Spaziergänge mit dem Hund möglich sein sollten. Und ich hoffe wieder mehr am Familienleben teilhaben zu können.

Dazu wurde meine Schmerztherapie etwas verändert, optimiert wenn man so möchte.

Vermutlich wurde das Schmerzmittel in Tablettenform nicht vernünftig resorbiert. Das wiederum hängt sehr wahrscheinlich mit der Entzündung zusammen die die Chemotherapie in meinem Darm verursacht hat. Das ist zwar durchaus so gewollt, da das so aktivierte Immunsystem dem Tumor auf die Pelle rücken soll. Allerdings macht das bei mir eben auch extrem starke Schmerzen…

Chemotagebuch – Tag 160 – 29.10.2016

Der Eintrag von gestern sollte so eigentlich nicht beendet werden. Doch es kommt natürlich hin und wieder vor, dass in einem Krankenhaus (ich würde es lieber Gesundheitshaus nennen, denn ich will ja gesund werden!) Untersuchungen gemacht werden.

Und so war es auch gestern. Es standen Darm- und Magenspiegelung an. Ergebnis bisher  offen.

Am Montag soll „mein Fall“ in der Tumorkonferenz besprochen werden.

Da stecken die Fachärzte aus den verschiedenen Resorts die Köpfe zusammen und beratschlagen wie es mit mir nun weiter gehen soll.

Allerdings fehlt bei diesem Meeting eine ganz wichtige Person, deswegen bin ich gespannt was dabei raus kommen soll.

Wer da fehlt? Ja, ich natürlich! Mich hat zu meiner eigenen Tumorkonferenz niemand eingeladen. Kurios, nicht wahr? Es bestätigt meine Erfahrung, dass die meisten Mediziner kein Interesse für die Meinung des Patienten haben.

Viel zu selten werde ich gefragt was ich denke. Was ich möchte. Was ich mir vorstelle…

Dafür ist zu wenig Raum, meiner Meinung nach.

Wobei ich auch mal ehrlich sagen muss, dass ich mich bisher hier ganz gut aufgehoben fühle.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind allesamt nett, freundlich, gut gelaunt, motiviert…

Das passt alles und ist heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr…

Ja ansonsten…

Ich hoffe mal, dass ich die Talsohle nun durchschritten habe. Bin jetzt bei 53kg angekommen, das sind immerhin mal 34 Kilo weniger als noch vor einem Jahr, vor OP Nummer 2 und 3.

Eventuell werde ich jetzt dann auch erstmal die Notleine ziehen und die Chemo pausieren.

Denn für mich steht fest, die derzeitigen starken Schmerzen kommen definitiv von den toxischen Medikamenten.

Nicht direkt zwar… Die Medikamente bewirken allerdings, dass sich extrem viele Gase in meinen Därmen bilden. Und durch diesen Druck werden wohl die Schmerzen ausgelöst.

Um meine Vermutung etwas genauer auszuführen: in Verbindung mit Nahrung (ob flüssig oder fest) bilden sich diese Gase. Denn wenn ich nichts zu mir nehme, habe ich auch keine Schmerzen…

Sollte ich mich also schonmal mit dem Gedanken anfreunden den Rest meines Lebens künstlich ernährt zu werden? Auf den Genuss eines guten Essens verzichten? Nun…. Wenn ich dafür schmerzfrei sein kann… Wer weiß…

Denn eines ist für mich sicher, dauerhaft Schmerzen machen mich mürbe. Es ist derart kräftezehrend… Da kann von guter Lebensqualität jedenfalls auch keine Rede sein.

Aber warten wir erstmal ab was die Expertenrunde am Montag eruiert.

Chemotagebuch – Tag 159 – 28.10.2016

Es ist mal wieder Zeit für einen Eintrag. Es ist ja auch schon wieder einige Zeit ins Land gegangen seit dem letzten Eintrag.

Und es passiert auch so einiges. Ich frage mich hin und wieder zwischendurch, was von dem was ich so erlebe und erfahre ich hier einfließen lassen soll…

Was ist wirklich relevant.

Nun, im Moment befinde ich mich jedenfalls (mal wieder) in einem Krankenhaus. Diesmal in der Raphaelsklinik hier in Münster.

Grund für meinen Aufenthalt hier sind die immer stärker werdenden Schmerzen. Das kann so nicht weiter gehen. Es kann ja nicht die Lösung sein, dass ich einfach immer weiter meine Schmerzmedikation erhöhe. Ich will wissen wo die Schmerzen her kommen.

Einige Untersuchungen sind nun schon gelaufen, jetzt gleich folgen weitere. Am Ende stehen hoffentlich neue Erkenntnisse. Auch hierüber werde ich entsprechend einen Eintrag verfassen.

Chemotagebuch – Tag 142 – 11.10.2016

Tag 5 am Tropf. Seit Freitag werde ich künstlich ernährt. Die fehlende Energiezufuhr stellt ein sehr großes Problem dar.

Ich war ziemlich am Ende, körperlich. Kaum Kraft für irgendwas. Gewicht: 57kg. Das ist absoluter negativ Rekord.

Glücklicherweise muss man für das „Schnitzel aus der Tüte“ nicht mehr ins Krankenhaus. Da ist die „Krebsindustrie“ echt sehr gut aufgestellt.

Ein Anruf von meinem Onkologen hatte genügt um die Maschinerie zum Laufen zu bringen.

Noch am selben Tag meldet sich ein netter Herr um mit mir den weiteren Verlauf zu koordinieren.

Einen Tag später wurde dann auch schon die Portnadel gestochen, die Verbrauchsmaterialien sowie die Infusionslösung geliefert und der Pflegedienst bestellt der mich nun 2x täglich besuchen kommt.

4 Firmen sind daran direkt beteiligt! Das heißt ich trage mit meiner Erkrankung zur Steigerung des Bruttosozialprodukts bei, da kommt richtig was in Gang! Wahnsinn…

Doch was soll ich sagen, ich bin dankbar, dass das so ist. Denn mir geht es von Tag zu Tag besser, heute konnte ich sogar schon wieder allein einkaufen gehen. Es hilft mir also und darauf kommt es an.

Die Schmerzen sind ein weiteres Problem. Irgendwie wird es damit auch nicht besser und ich habe mir die Tage die Frage gestellt ob ich wohl je wieder schmerzfrei werde sein können…

Oder anders gefragt: werde ich irgendwann wieder völlig gesund sein? Oder werde ich den Rest meines Lebens mit gesundheitlichen Einschränkungen zu leben haben? Und wenn ja, mit welchen?

Ist damit nun die Talsohle durchschritten? Ist der Tiefpunkt erreicht? Geht es jetzt wieder Berg auf?

Die Motivation ist derzeit eine große Herausforderung, ich weiß nämlich nicht wo sie sich versteckt hat. Sie ist vor einiger Zeit auf Reisen gegangen und hat seit dem noch keine Karte geschickt.

Ich brauch ein Ziel. Oder besser gesagt brauche ich gleich mehrere davon… Ein kleines, ein mittleres und ein großes.

Ich mache mich auf die Suche…