Chemotagebuch – Tag 29 – 20.06.2016

Es ist mal wieder Zeit für ein paar Zeilen.

Die letzte Woche war einfach zu heftig für mich, irgendwie fehlte die Motivation für alles. Auch für dieses Tagebuch. Da ich selbst keine Anforderung habe an dieses „Projekt“ ist das auch völlig okay… Ich habe sogar Phasen dazwischen wo ich das alles in Zweifel ziehe. Wie sinnlos, diese Gedanken überhaupt aufzuschreiben.

Naja, die typischen Selbstzweifel eben. Sie begleiten mich. Das ist auch okay, ich muss dieser Stimme ja nicht nachgeben.

Im Moment schlafe ich viel, naja, „ruhen“ ist vielleicht der bessere Ausdruck. Ich muss mit meinen Kräften gut haushalten, irgendwie einen Kompromiss finden zwischen rumpimmeln und blindem Aktionismus.

Denn ganz ehrlich, nur rumgammeln ist für mich echt anstrengend. Ich muss erstmal lernen das zuzulassen. Mir wirklich die Zeit für mich zu nehmen. Nicht weil ich es will sondern weil ich es brauche. Weil mein Körper es braucht.

Das ist irgendwie jetzt der Weg. Ich muss erst zum völligen Ego-Arsschloch mutieren, völligst zu mir selbst finden. Alle Teile strikt und rigoros zurückweisen die nicht zu mir gehören, bis nur noch das übrig bleibt was ich wirklich bin. Wer ich wirklich bin.

Ich will kein Ego-Arschloch sein. Ich will gemocht werden. Ich will von allen gemocht werden.

Das ist die alte Platte die „in mir“ läuft. Mein altes Programm.

Ich muss mich so verhalten, dass ich möglichst mit niemandem anecke. Niemanden verletzen. Niemanden vor den Kopf stoßen.

Koste es was es wolle. Ich muss mich verbiegen. Teilweise mache ich das schon so lange, dass es mir gar nicht bewusst ist. So festgefahrene Angewohnheiten. Fesseln die ich mir selbst angelegt habe.

Die meisten von ihnen in meiner Kindheit. Da wo es mir wichtig war dass meine Mutter mich mag.

Diese Zuwendung habe ich offenbar nicht bekommen. Ich habe also gelernt mich so zu verhalten wie es von mir erwartet wird.

Habe mir so einen Kokon aufgebaut der mich umgibt. Einen Kokon aus Erwartungen und Verhaltensweisen. Mechanismen die mir helfen gemocht zu werden.

Das alles funktioniert soweit ganz gut. Funktionierte jedenfalls. Nun ist der Krebs da.

Für mich steht das in unmittelbaren Zusammenhang.

Der Krebs ist da wo ich nicht bin. Je mehr ich mich verbiege und Wege gehe die andere mir weisen, desto mehr Platz mache ich für den Krebs. Der Krebs kann nur da sein wo ich nicht bin…

Also muss ich mir diesen Raum zurückerobern.

Es ist MEIN Leben! Das sind erstmal große Worte und ich kann sie nicht mit Leben füllen, weil ich ja gar nicht weiß was „MEIN“ eigentlich ist. Weil ich es ja nie gelernt habe, nie auf Tuchfühlung mit mir selbst gegangen bin. In mich hinein horche, was „mir“ in Wirklichkeit entspricht.

Klar, bei manchen Dingen weiß ich das. Was ich gerne esse zum Beispiel. Musik die mir gefällt. Die gefällt mir ja nicht weil jemand mir das so beigebracht hat, sondern da kann ich es zulassen das zu mögen was mir entspricht. Da ist mir ja auch Bockwurst was irgendjemand denken könnte. Da lebe ich mich gewissermaßen schon aus, lebe mich selbst.

Vielleicht ist Musik auch deswegen so wichtig für mich.

Ich glaube wenn ich den Tumor besiegen will und auch den Krebs an sich (für mich ist der Tumor nicht der Krebs, das sind 2 verschiedene Dinge), muss ich zu mir selbst finden.

Ich muss meinen Raum einnehmen, den Raum den ich bisher anderen zur Verfügung gestellt habe. Den Raum, den der Tumor sich unter’n Nagel gerissen hat.

Es mag sein, dass der pure Egoismus eine Zwischenstation ist, sicherlich nicht jedoch das Endziel.

Da wo Liebe ist, hat Egoismus ja keinen Platz, insofern ist Egoismus nur eine Zwischenstation.

Darauf muss ich mich konzentrieren. So habe ich wenigstens ein Ziel.

Bei ALLEM was ich tue, sage, erlebe… Kritisch zu prüfen und zu hinterfragen ob mir das wirklich entspricht. Ist das wirklich das was ich will? Will ich das so sagen? Will ich das so tun? Fühlt sich das für mich authentisch an?

Wer bin ich?

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