Chemotagebuch – Tag 163 – 01.11.2016

Was ist hier eigentlich los?

Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit häufiger. In Verbindung mit den verschiedensten Zusammenhängen. Was sind das nur für Zeiten in denen wir leben?

Geprägt von Gewalt, Hass, Lügen, Intrigen, Leid und Krankheit. Was sind das nur für Zeiten?

Viele Menschen werden an den Rand ihrer körperlichen und/oder geistigen Grenzen geführt. Einige drehen einfach durch. Andere werden drogenabhängig. Wieder andere brechen einfach zusammen (Burn-out, Depressionen). Es mag noch unzählige weitere Möglichkeiten geben wie Menschen mit ihren Krisen umgehen. Tatsache ist jedenfalls, dass die Zusammenbrüche sich häufen. Krebs ist eines der offensichtlichsten Symptome des immer größer werdenden Stresses der uns alle überrollt.

Um so wichtiger, gerade in solchen Zeiten, ist es sich kleine „Oasen“ in seinem Leben zu erschaffen. Das kann alles mögliche sein. Ein Bild. Eine Idee. Ein bestimmter Tee. Ein Ritual. Eine Idee. Ein Ideal! Eben kleine Oasen, die einem immer wieder Kraft geben. Es liegt in unserer Verantwortung uns diese Oasen selber zu erschaffen.

Leider wurde den meisten von nicht beigebracht wie wir das machen sollen. Geschweige denn dass es überhaupt  möglich ist.

Die Möglichkeit Kraft aus sich selbst heraus zu schöpfen ist so unendlich wertvoll und genauso tabu scheint dieses Thema in der herkömmlichen Erziehung zu sein. Deswegen verwundert es nicht, dass hier entsprechende Erfahrungen und vor allem Bewusstheit fehlt.

Denn ich bin überzeugt, dass jeder Mensch diese Möglichkeit unbewusst bereits einsetzt. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Lebensprinzip das alles und jeden durchdringt. Nur der Grad der Bewusstheit variiert eben sehr stark.

Ich befinde mich derzeit immer noch in der Raphaelsklinik, jetzt mittlerweile den 9. Tag.

Den Rest dieser Woche werde ich wohl auch noch hier verbringen, eventuell kann ich das Wochenende wieder gemeinsam mit meiner Familie verbringen.

Meine Familie bietet mir unzählige dieser kleinen Oasen aus denen ich meine Kraft schöpfe.

Was hat mir der Aufenthalt hier gebracht? Nunja, verschiedenes. Auf keinen Fall betrachte ich dies hier als vergeudete Zeit. Denn traurige Wahrheit ist leider, dass ich in meinem aktuellen Zustand zuhause ohnehin keine große Hilfe bin. Weder bei der Haushaltsführung noch bei der Kinderbetreuung bin ich derzeit eine Unterstützung

Insofern habe ich in den vergangenen Tagen die Ruhe auch mehr oder weniger ohne schlechtes Gewissen nutzen können. Ich habe wieder ein wenig an Gewicht zugelegt und bin wieder etwas zu Kräften gekommen. So zu Kräften, dass auch wieder regelmäßige Spaziergänge mit dem Hund möglich sein sollten. Und ich hoffe wieder mehr am Familienleben teilhaben zu können.

Dazu wurde meine Schmerztherapie etwas verändert, optimiert wenn man so möchte.

Vermutlich wurde das Schmerzmittel in Tablettenform nicht vernünftig resorbiert. Das wiederum hängt sehr wahrscheinlich mit der Entzündung zusammen die die Chemotherapie in meinem Darm verursacht hat. Das ist zwar durchaus so gewollt, da das so aktivierte Immunsystem dem Tumor auf die Pelle rücken soll. Allerdings macht das bei mir eben auch extrem starke Schmerzen…

Chemotagebuch – Tag 160 – 29.10.2016

Der Eintrag von gestern sollte so eigentlich nicht beendet werden. Doch es kommt natürlich hin und wieder vor, dass in einem Krankenhaus (ich würde es lieber Gesundheitshaus nennen, denn ich will ja gesund werden!) Untersuchungen gemacht werden.

Und so war es auch gestern. Es standen Darm- und Magenspiegelung an. Ergebnis bisher  offen.

Am Montag soll „mein Fall“ in der Tumorkonferenz besprochen werden.

Da stecken die Fachärzte aus den verschiedenen Resorts die Köpfe zusammen und beratschlagen wie es mit mir nun weiter gehen soll.

Allerdings fehlt bei diesem Meeting eine ganz wichtige Person, deswegen bin ich gespannt was dabei raus kommen soll.

Wer da fehlt? Ja, ich natürlich! Mich hat zu meiner eigenen Tumorkonferenz niemand eingeladen. Kurios, nicht wahr? Es bestätigt meine Erfahrung, dass die meisten Mediziner kein Interesse für die Meinung des Patienten haben.

Viel zu selten werde ich gefragt was ich denke. Was ich möchte. Was ich mir vorstelle…

Dafür ist zu wenig Raum, meiner Meinung nach.

Wobei ich auch mal ehrlich sagen muss, dass ich mich bisher hier ganz gut aufgehoben fühle.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind allesamt nett, freundlich, gut gelaunt, motiviert…

Das passt alles und ist heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr…

Ja ansonsten…

Ich hoffe mal, dass ich die Talsohle nun durchschritten habe. Bin jetzt bei 53kg angekommen, das sind immerhin mal 34 Kilo weniger als noch vor einem Jahr, vor OP Nummer 2 und 3.

Eventuell werde ich jetzt dann auch erstmal die Notleine ziehen und die Chemo pausieren.

Denn für mich steht fest, die derzeitigen starken Schmerzen kommen definitiv von den toxischen Medikamenten.

Nicht direkt zwar… Die Medikamente bewirken allerdings, dass sich extrem viele Gase in meinen Därmen bilden. Und durch diesen Druck werden wohl die Schmerzen ausgelöst.

Um meine Vermutung etwas genauer auszuführen: in Verbindung mit Nahrung (ob flüssig oder fest) bilden sich diese Gase. Denn wenn ich nichts zu mir nehme, habe ich auch keine Schmerzen…

Sollte ich mich also schonmal mit dem Gedanken anfreunden den Rest meines Lebens künstlich ernährt zu werden? Auf den Genuss eines guten Essens verzichten? Nun…. Wenn ich dafür schmerzfrei sein kann… Wer weiß…

Denn eines ist für mich sicher, dauerhaft Schmerzen machen mich mürbe. Es ist derart kräftezehrend… Da kann von guter Lebensqualität jedenfalls auch keine Rede sein.

Aber warten wir erstmal ab was die Expertenrunde am Montag eruiert.

Chemotagebuch – Tag 159 – 28.10.2016

Es ist mal wieder Zeit für einen Eintrag. Es ist ja auch schon wieder einige Zeit ins Land gegangen seit dem letzten Eintrag.

Und es passiert auch so einiges. Ich frage mich hin und wieder zwischendurch, was von dem was ich so erlebe und erfahre ich hier einfließen lassen soll…

Was ist wirklich relevant.

Nun, im Moment befinde ich mich jedenfalls (mal wieder) in einem Krankenhaus. Diesmal in der Raphaelsklinik hier in Münster.

Grund für meinen Aufenthalt hier sind die immer stärker werdenden Schmerzen. Das kann so nicht weiter gehen. Es kann ja nicht die Lösung sein, dass ich einfach immer weiter meine Schmerzmedikation erhöhe. Ich will wissen wo die Schmerzen her kommen.

Einige Untersuchungen sind nun schon gelaufen, jetzt gleich folgen weitere. Am Ende stehen hoffentlich neue Erkenntnisse. Auch hierüber werde ich entsprechend einen Eintrag verfassen.

Chemotagebuch – Tag 142 – 11.10.2016

Tag 5 am Tropf. Seit Freitag werde ich künstlich ernährt. Die fehlende Energiezufuhr stellt ein sehr großes Problem dar.

Ich war ziemlich am Ende, körperlich. Kaum Kraft für irgendwas. Gewicht: 57kg. Das ist absoluter negativ Rekord.

Glücklicherweise muss man für das „Schnitzel aus der Tüte“ nicht mehr ins Krankenhaus. Da ist die „Krebsindustrie“ echt sehr gut aufgestellt.

Ein Anruf von meinem Onkologen hatte genügt um die Maschinerie zum Laufen zu bringen.

Noch am selben Tag meldet sich ein netter Herr um mit mir den weiteren Verlauf zu koordinieren.

Einen Tag später wurde dann auch schon die Portnadel gestochen, die Verbrauchsmaterialien sowie die Infusionslösung geliefert und der Pflegedienst bestellt der mich nun 2x täglich besuchen kommt.

4 Firmen sind daran direkt beteiligt! Das heißt ich trage mit meiner Erkrankung zur Steigerung des Bruttosozialprodukts bei, da kommt richtig was in Gang! Wahnsinn…

Doch was soll ich sagen, ich bin dankbar, dass das so ist. Denn mir geht es von Tag zu Tag besser, heute konnte ich sogar schon wieder allein einkaufen gehen. Es hilft mir also und darauf kommt es an.

Die Schmerzen sind ein weiteres Problem. Irgendwie wird es damit auch nicht besser und ich habe mir die Tage die Frage gestellt ob ich wohl je wieder schmerzfrei werde sein können…

Oder anders gefragt: werde ich irgendwann wieder völlig gesund sein? Oder werde ich den Rest meines Lebens mit gesundheitlichen Einschränkungen zu leben haben? Und wenn ja, mit welchen?

Ist damit nun die Talsohle durchschritten? Ist der Tiefpunkt erreicht? Geht es jetzt wieder Berg auf?

Die Motivation ist derzeit eine große Herausforderung, ich weiß nämlich nicht wo sie sich versteckt hat. Sie ist vor einiger Zeit auf Reisen gegangen und hat seit dem noch keine Karte geschickt.

Ich brauch ein Ziel. Oder besser gesagt brauche ich gleich mehrere davon… Ein kleines, ein mittleres und ein großes.

Ich mache mich auf die Suche…

Chemotagebuch – Tag 126 – 25.09.2016

In den letzten Tagen ist es mir richtig elend. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich mich derzeit an einem neuen Tiefpunkt befinde.

Die Schmerzen nehmen zu, die Übelkeit macht mir sehr zu schaffen, ich verliere weiter Gewicht und entsprechend fehlt mir auch einfach viel Kraft.

Auch mental ist es eher so ein „dahinvegitieren“, kann gut sein dass ich mich da wiederhole. Es ist ja Teil dieses „Experiments“ (damit meine ich diesen Chemo-Tagebuch-Blog) dass ich es fließen lasse. Das was gerade da ist.

Ich will dann dieses Sammelsurium an Gedanken in einem Rutsch lesen, da bin ich gespannt drauf…

Das wirklich „Schlimme“ an meiner momentanen Situation ist die Hilflosigkeit mit der ich dieser ganzen Scheiße gegenübertrete. Ich weiß nicht was ich machen soll. Mir fehlt einfach die Kraft und die Motivation für alles gerade.

Was also tun? Es einfach aussitzen und hoffen dass es von allein wieder besser wird?!? Mir noch mehr Medikamente (egal ob nun pflanzlich oder chemisch) einwerfen?!?

Ich weiß es eben einfach nicht.

Nach der Phase der Wut, des Zorns und der Aggressionen befinde ich mich nun im tiefen Tal der Ohnmacht, der Traurigkeit und der Hilflosigkeit. „Depression“ ging mir mehrfach in den letzten Tagen durch den Kopf. Wobei das ja im Sinne des Wortes etwas sehr positives ist.

Denn ebenso wie bei der Ent-Täuschung, bei der die Täuschung entfernt wird, wird ja bei der De-Pression auch etwas entfernt. Nämlich der Druck (engl. pressure).

Ist es also Ohnmacht und Traurigkeit die übrig bleibt wenn der Druck weg ist? oder ist das nur eine Illusion, ein… sagen wir „ungünstiger Betrachtungswinkel“ auf die Situation.

Vielleicht ist das was sich wie Ohnmacht (ohne Macht sein) anfühlt in Wirklichkeit auch Erleichterung. Vielleicht hindert mich meine (Verlust-)Angst daran es so wahrzunehmen. Die Angst davor etwas wichtiges zu verlieren.

Etwas, von dem ich dachte/denke dass es zu mir gehört.

Es wird sich zeigen. Auch diese Phase will und wird gemeistert werden und ich werde wissen was es bedeuten soll.

Bis dahin übe ich mich in Dankbarkeit für das was wir (meine Familie und ich) bisher schon erreicht haben. Für all das was gut läuft, denn es gibt ja nach wie vor sehr positive Aspekte in meinem Leben.

Und ich lausche in mich hinein und suche die Stille…

Wer bin ich?

Chemotagebuch – Tag 110 – 09.09.2016

Aus dem „das muss mir gehören/ich will es besitzen“ wird „mir reicht es, es zu erfahren/erleben“

Im ersteren Fall ziehen wir „unsere Grenze“ sehr eng. Es handelt sich um ein „Egobedürfnis“.

Die Grenze ist meistens unsere Haut, alles was „außerhalb“ dieser Grenze existiert betrachten wir als „Außenwelt“, als „nicht zu uns gehörig“ oder „getrennt von uns“.

Daher kann überhaupt das Bedürfnis entstehen etwas besitzen zu wollen. Denn man kann ja nur etwas besitzen wollen, was noch nicht „zu einem“ gehört.

Ist das Bewusstsein weit genug wird aus dem Ego ein größeres „Ego“, die Grenzen werden weiter… (bis hin zur Auflösung jener Struktur die wir als „Ego“ bezeichnen)

Wie kam ich darauf?….

Woher kommt der „Eroberungswunsch“, der Wunsch etwas besitzen zu wollen… Diese Frage ging mir durch den Kopf.

Ansonsten… Mir ist seltsam zumute. Mental. Einerseits möchte ich gern in die Welt hinaus und etwas erleben. Andererseits fehlt mir gerade völlig die Motivation für alles. Dies ist ein wirklich seltsamer Zwiespalt.

Depressive Verstimmung? Hm, nein, irgendwie nicht. Es ist ja nicht so das ich mich überflüssig fühle, oder nicht geliebt oder so…

Es fehlt nur einfach gerade ein wenig an der nötigen Motivation.

Ich weiß es gerade nicht genau, jedoch kann das durchaus mit dem obigen „Sachverhalt“ in Zusammenhang stehen.

Denn es ist ja so, wenn ich noch ein sehr stark ausgeprägtes Ego habe, mit vielen „ich-will-haben-Ego-Wünschen“, dann habe ich ja genug Handlungsmotivation, immer solange, bis ich das jeweilige Objekt der Begierde dann besitze. Danach löst sich die Motivation auf und das Ego sucht sich etwas Neues, was es gern besitzen möchte.

Wenn ich nun annehme, dass durch den Krebs und den damit einhergehenden Erfahrungen mein Bewusstsein so stark erweitert wurde, dass die „Egogrenze“ ebenfalls gewachsen ist, dann entfällt plötzlich der Motivation „Ich-will-besitzen“. Eventuell befinde ich mich gerade in dieser Phase. Wie gesagt weiß ich das gerade selber nicht so genau.

In dieser Woche war auch eine weitere Kontrolluntersuchung, ich hatte mal wieder das Vergnügen 1 Liter Kontrastmittel trinken zu dürfen und mich der Strahlung des Computer-Tomographen auszusetzen. Eine der wenigen Möglichkeiten den inneren Bauchbereich für Mediziner optisch zugänglich zu machen.

Dabei wurde festgestellt, dass der Tumor weiter geschrumpft ist. Das ist eine sehr aufbauende Information.

Somit ergibt sich folgender Verlauf (Größe des Tumors):

November ´15 => 4cm

April ´16 => 7cm

Juni ´16 => 4cm

September ´16 => 2cm

Für einen Schulmediziner sind das Hammerergebnisse. Mein Onkologe sagte, man erwarte solche Ergebnisse nicht einmal nach 6 Monaten intensiver Chemotherapie.

Na immerhin…

Übrigens ist die „Zielsetzung“ der Ärzte nicht, solange zu therapieren bis der Tumor ganz weg ist. Nein, nein. Weit gefehlt. Total verrückt. Der Arzt sagt, man therapiere für gewöhnlich solange, bis der Tumor wieder anfängt zu wachsen. Öhm…. Ja, ne, is kla…

Völlig verquer, aus meiner Sicht… Nicht?

Ich ging völlig naiv davon aus, dass wir solange therapieren bis der Tumor weg ist… Hach, ich kleines Dummerchen 😀 Naivling… *tz*tz*tz*

Naja, wie dem auch sei. Meine „Zielsetzung“ ist jedenfalls den Tumor komplett aus meinem Körper zu verbannen. Wobei es sicherlich auch unproblematisch wäre, wenn ein geringer Rest in meinem Körper verbleibt. Das Tumorgewebe scheint ja derzeit keine Organtätigkeit einzuschränken.

Auf jeden Fall mache ich nun eine Woche Chemo-Pause.

Da ich an einer Studie teilnehme, entscheidet sich in der Zwischenzeit in welche Gruppe („Kohorte“ wie der Mediziner sagt) ich lande.

Gruppe eins bekommt zusätzlich zum Standardprogramm einen Antikörper.

Gruppe zwei ist die Kontrollgruppe.

Wie lange soll das jetzt so weitergehen?

Tja. Aus schulmedizinischer Sicht ist das ein „Open-end-Programm“. Auch wieder witzig… Es geht dem Arzt gar nicht darum die Krankheit zu heilen. Es scheint so als handle es sich stets nur um lebenserhaltende Maßnahmen. Wirtschaftlich total sinnvoll. Man hält den Kunden, ähm, Patienten in einer Schwebe zwischen Leben und Tod.

Ein bisschen schade, dass das den meisten Ärzten dies auch zu reichen scheint. Ihre Motivation ist demnach nicht die Heilung des Patienten (Heilwerdung => heil werden => „ganz“ werden), sondern lediglich die Lebensverlängerung.

Dies soll so nicht bleiben.

Chemotagebuch – Tag 105 – 04.09.2016

Es gibt immer noch Momente in denen ich einfach nicht mehr wollen will. Momente größter Anspannung. Momente der Schwäche.

Doch gerade in diesen Momenten steckt eine sehr tiefgreifende Erkenntnis, nicht nur Erkenntnis für den Verstand sondern ein tiefgreifendes Erlebnis.

Diese Momente der Schwäche und Verzweiflung sind da, ob es mir passt oder nicht. Und ich muss sie durchleben. Ob es mir passt oder nicht. Weglaufen zählt nicht. Nicht nur das… Weglaufen ist schlicht und ergreifend nicht möglich!

Es gibt kein Entrinnen.

Das ist eine seltsame Konstellation irgendwie. Denn einerseits wird mir meine Hilflosigkeit völlig bewusst. Meine Machtlosigkeit. Meine Ohnmacht (=> ohne Macht zu sein).

Aber andererseits ist das auch irgendwie befreiend. Es fällt ein Druck von mir ab. Denn wenn ich ohnehin keine Macht drüber habe, dann kann ich es auch einfach akzeptieren.

Das entspannt dann den Moment, diese Momente des nichtmehr wollen wollens.

Ich lass dann einfach alles „über mich“ hinweg schwappen sozusagen. Von „außen“ könnte man dann sogar den Eindruck gewinnen ich habe wirklich aufgegeben. Doch in Wahrheit sammle ich nur neue Kräfte

Und so kann es von „außen“ auch insgesamt gerade so aussehen als sei dies eine Phase der Stagnation und des Stillstandes. In Wirklichkeit passiert „in mir“ jedoch gerade eine ganze Menge.

Es löst sich vieles, nach und nach. Ich kann so nach und nach mit einigen Dingen wesentlich entspannter umgehen. Nicht von jetzt auf gleich. Nicht von heut auf morgen. Eher von Situation zu Situation. Wie ein Muskel den man trainiert, der ist ja auch nicht von heut auf morgen gewachsen…

Körperlich macht mir die Chemo zunehmend zu schaffen. Ich habe förmlich das Gefühl mich von innen aufzulösen, das ist schwer zu begreifen. Mein Haut wird immer dünner. Das Wort das mir dazu regelmäßig in den Sinn kommt ist „Pergament“. Alt und brüchig, gleichzeitig aber noch geschmeidig. Jedoch abbauend.

Ironischer Weise ist Pergament ja aus Tierhaut gemacht, mein Unterbewusstsein ist ein Schelm.

Auch kräftetechnisch baue ich kontinuierlich ab. Konditionell. Ich werde „brüchig“, physisch instabil. Psychisch hingegen stabilisiere ich mich gerade, auch wenn es wie gesagt von „außen“ anders aussehen mag. Denn auch diese Momente der Schwäche können zur Stärke führen, je nach dem wie ich damit umgehe. Indem ich diese Schwäche endlich annehme. Und ich meine an der Stelle auch Charakterschwäche, vor allem Charakterschwäche!

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ So sprach es ein großer weiser Mann einst. Doch Tatsache ist, ich bin phasenweise weder edel noch hilfreich noch gut. Es gibt Momente in denen ich diesem Ideal nicht treu sein kann, aus jeweils verschiedenen Gründen.

Doch statt mich dafür zu verachten beginne ich nun dies erst einmal zu akzeptieren.

Genau an dieser Stelle gibt es im Moment auch sehr großes Konfliktpotential in der Interaktion mit meiner Außenwelt. Denn um wirklich zu „erfahren/erleben“ wie es sich anfühlt kein Arschloch sein zu wollen, muss man erstmal Arschloch gewesen sein und sich dann mies fühlen. Erst dann kann sich aus dieser Erfahrung etwas Neues ent-wickeln (auswickeln).

Und dieses „Neue“ ist das Zwischenziel, da geht die Reise hin. In Wirklichkeit ist dieses „Neue“ (gelobte Land) nichts wirklich Neues. Im Gegenteil, es ist das Älteste was überhaupt existiert. Es ist das was uns in Wirklichkeit ausmacht, das was ich wirklich bin…

Wenn man diese Zeilen so liest könnte man das auch für esoterisches Geschwafel halten, ich verbinde damit im Moment allerdings ganz konkrete Erlebnisse und Erfahrungen.

Chemotherapie – Tag 94 – 24.08.2016

Im Moments es echt anstrengend mit mir. Ich meine, ich geh mir selbst auf den Sack mit meiner mürrischen Art und Weise.

Zumal dieser „Zustand“ nun schon relativ lange anhält. Es ist sehr anstrengend. Sicher, mir selbst ist vollkommen klar, dass es sich nur um eine Phase handelt. Ein Abschnitt den ich wohl oder übel durchleben muss. Das wäre auch an sich nicht das Problem. Ich kann mich selbst ankotzen und mir derbe auf die Nüsse gehen, das halte ich aus… 🙂

Nur,… Ich bin ja nicht alleine in dieser Phase meines Lebens. Zum Glück!

Dennoch ergibt sich daraus eine Herausforderung. Meine Familie muss mich ja ebenfalls so ertragen. Und Stress und zusätzlicher Stress ergeben unter’m Strich noch mehr Stress…

Das ist ein Teufelskreis und ich Sucher derzeit nach einem Ausweg. Es kann ja keine Lösung sein, dass ich mich in ein stilles Kämmerlein einschließe oder aus Frust den ganzen Tag im Bett verbringe. Oder doch? Eine Zeit lang mag das okay sein. Zumindestens solange, bis man sich selbst die Situation klar gemacht hat.

An diesem Punkt stehe ich fast. Mir ist klar, dass ich selbst der Einzige bin, der das entspannen kann. Was mir noch nicht klar ist, wie ich das anstellen soll.

Es gab eine Phase des Krebses, da haben mich die körperlichen Beschwerden und Schmerzen erschöpft und in die Knie gezwungen. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Ein Punkt, an dem einfach keine Kraft mehr da war. Keine Kraft da ist. Ich habe diesen Punkt noch nicht überwunden!

Nun stehe ich an einem Punkt an dem ich so langsam mental erschöpft bin… Die Nerven liegen so blank, dass ich für alles und jeden nen Ausraster kriegen könnte, aber so richtig aggressiv. Teilweise beängstigend.

Dabei weiß ich nichtmal genau wieso eigentlich.

Das ist der Clou an dieser ganzen beschissenen Phase gerade… Ich hab nicht die leiseste Ahnung was mich eigentlich so aggressiv macht. Meine Frau gibt sich die allergrößte Mühe die man sich überhaupt nur vorstellen kann, irgendwie mit der Situation vernünftig umzugehen, mehr geht nicht.

Unsere 2 Babys haben ihre eigenen Sorgen und Nöte und es ist meine Aufgabe als Vater für sie da zu sein und sie zu beschützen. Sie zu hegen und zu pflegen, was immer auch kommen mag.

Wie soll das aber gehen wenn ich selbst so unausgeglichen bin?

Vielleicht sollte ich mal mit dieser Aggression raus in den Wald gehen und einfach mal laut schreien. Kreischen bis meine Stimme versagt. Ansonsten weiß ich auch nicht weiter…

Was könnte ein Psychologe für mich tun? Könnte er mir helfen? Irgendwie Mumpitz, der beste Psychologe den ich haben kann ist meine Frau. Allerdings hat sie ja auch nicht unbegrenzte Kräfte…

Es ist im Moment eine recht verzwickte Situation irgendwie.

Aber irgendwie hat es mir glaube ich schon geholfen, das einfach mal so hier hin zu kotzen.

Und,…. Davon abgesehen… Da ist ja nicht nur Hass, Zorn und Wut in mir drin sondern auch jede Menge Liebe die ich ebenfalls wahrnehme. Hopfen und Malz ist also noch nicht verloren… 🙂

Chemotagebuch – Tag 86 – 16.08.2016

Heute soll es mal wieder einen Eintrag geben. Auch wenn mir in diesem Moment jegliche Inspiration fehlt.

Ich bin ja kein guter Geschichtenerzähler. Ich schreibe einen Beitrag wenn… ja, wann eigentlich.

Ich folge dabei einem inneren Impuls. Irgendein Thema zu dem ich glaube etwas zu sagen zu haben.

Wenn ich das gerade so aufschreibe… Dann habe ich den Sinn und Zweck dieses Projektes ja verfehlt, es geht ja darum das aufzuschreiben was mich beschäftigt. Die Chemo sozusagen zu protokollieren, aus meiner Perspektive. Darum geht es mir doch…

Dann gebe ich nun also zu Protokoll: die Chemo hat mich soweit in die Knie gezwungen, mir fehlte jegliche Kraft und Motivation irgendwelche Gedanken aufzuschreiben.

Oft deswegen weil ich in den letzten Wochen (ja es sind mittlerweile schon Wochen) nervlich ziemlich angespannt bin. Teilweise sogar richtig aggressiv. Da ist ne ganze Menge Wut, Zorn und Hass in mir. Sicherlich auch Trauer und Angst. All diese Energien stoßen jetzt an die Oberfläche und ich habe das Gefühl das alle auf einmal kommen. Das ist sehr herausfordernd, vor allem für die Menschen die im Moment mit mir zu tun haben. Ich kann sehr schnell sehr aufbrausend werden. Das flaut zwar meistens genauso schnell wieder ab wie es hochgeschäumt ist, dennoch erzeugt es sehr herausfordernde Situationen im alltäglichen Zusammenleben.

Das ist ein heißes Eisen. Denn natürlich steckt in diesen „brenzlichen Situationen“ unheimliches Entwicklungspotential doch andererseits sind sind sie auch genauso strapazierend für die Nerven aller Beteiligten. Nun ist die Situation allerdings so, dass ich mir das ja nicht aussuche. Ich hab ja nicht plötzlich den „Arschlochschalter“ umgelegt und mir vorgenommen meine Welt zu terrorisieren. Ich will ja niemandem was böses…

In diesem Zusammenhang bin ich sehr dankbar für die Frau die das Schicksal mir an die Seite gestellt hat. Sie ist nicht nur meine Ehefrau sondern auch mein bester Freund und offenster Kritiker. Sie ist in letzter Zeit oft der nasse Waschlappen den ich in die Fresse brauche. Leider auch all zu oft der Prellbock.

Doch wir stellen uns diesen Herausforderungen gemeinsam. Niemand schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu. Wir hinterfragen uns selbstkritisch, besprechen alles.

Dafür liebe ich sie. Auch wenn es manchmal natürlich anstrengend ist.

Niemand hört gern was dem anderen an einem missfällt, schon gar nicht wenn es eine Person ist die uns sehr nahe steht. Niemand hört gerne Kritik, wie berechtigt sie auch sein mag.

Doch diese Art und Weise ist es letztlich die mich gesund macht.

Ich stelle mich meinen Schwächen, was es auch sei. Was auch immer noch ans Tageslicht kommt. Ich begrüße den Zorn, den Hass, die Wut. Ich lade euch ein, ich empfange euch mit offenen Armen. All zu lange habe ich euch „ausgesperrt“. Es ziemt sich nicht seinen Zorn zu zeigen. Wutausbrüche wollen wir nicht haben. Sei artig und still. Mach bloß keinen Ärger.

Immer schön alle Regeln befolgen…

Diese sogenannten „Schwächen“, in der Psychologie wird glaube ich der Begriff „Schatten“ verwendet, der sehr anschaulich ist, haben solange Macht über mich und meine Reaktionen wie ich es nicht schaffe sie zu integrieren.

Sie haben ihren Platz in dem Gebilde das ich „Charakter“ nenne. Sie sind Teil meiner „Person“.

„Persona“ => lat. Maske

Wir alle tragen diese Masken. Und wir alle verstecken die hässlichen und tragen mit Vorliebe die schönen und gesellschaftlich hoch anerkannten Masken zur Schau.

Ich will „echt“ sein. Ich will mir meiner Masken bewusst sein und wissen dass ich nicht diese oder jene Maske BIN sondern dass sie ein Teil von mir ist.

Ich will authentisch sein. Ich will souverän sein, trotz all meiner vermeintlichen „Schwächen“.

Ich will „ich“ sein. Wenn ich scheiße drauf bin will ich mosern und motzen dürfen.

Wenn es mir gut geht will singen, tanzen und klatschen dürfen. Ich will heraus finden was mir entspricht. Ich will mich selbst entdecken.

All das passiert auch gerade. Ich entwickle mich gerade sehr stark weiter, so ist jedenfalls mein subjektiver Eindruck. Es mag äußerlich nicht den Anschein haben, das kann ich ohnehin nicht beurteilen, da ich mich ja nicht äußerlich wahrnehme.

„Von innen“ betrachtet kann ich jedoch stolz verkünden, ich mache Fortschritte…

Im Umgang mit meinen Aggressionen. Mit dem Zorn. Die Traurigkeit. Die Angst.

Chemotagebuch – Tag 58 – 19.07.2016

Die Tagebucheintragungen werden weniger… Doch ich bleibe am Ball.

Ich befinde mich gerade in einer Phase der „Neuordnung“. Das ist schwer in Worte zu fassen. Viele alte Muster und Glaubenssätze drängen sich nun in den Vordergrund und wollen bewusst betrachtet werden. Viele dieser Muster und Glaubenssätze sind längst überholt, gehören eigentlich gar nicht (mehr) zu mir.

Was bedeutet das konkret? Von welchen Mustern schreibe ich hier. Was soll das bedeuten?!?

Das bedeutet, dass ich mich grundsätzlich in Frage stelle. Es bedeutet dass ich beobachte wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Warum macht mich dieses oder jenes wütend? Warum rege ich mich über dies oder jenes auf? Welche Knöpfe werden da gedrückt?

Sind diese Reaktionen Automatismen, passieren also völlig eigenständig, automatisch? Habe ich also keinen Einfluss darauf wie ich reagiere?

Oft kommt es mir wirklich so vor.

Vor allem „negative“ Reaktionen habe ich scheinbar nicht wirklich unter Kontrolle. Wutausbrüche beispielsweise. Es ist oft so, dass ich in bestimmten Situationen immer gleich „schlecht“ reagiere.

Das blöde daran ist nur, dass es mir hinterher oft leid tut.

Daran erkenne ich, dass dieses alte Reaktionsmuster nicht zu mir gehört.

Da läuft irgend ein Programm ab, und in dem Moment selbst habe ich oft keinen Einfluss darauf.

Daran arbeite ich seit ein paar Monaten intensiver. Ich bin dabei diese Programme zu entlarven. Mich anzunähern, quasi von hinten durch die Brust ins Auge…

Denn es ist ja so, dass ich mich nur „von hinten“ annähern kann. Will heißen, es geschieht und ich schärfe meine Achtsamkeit und bemerke dass gerade dieses oder jenes Programm abläuft. Zu spät, weil die Situation schon geschehen ist.

Doch statt mich darüber zu ärgern, dass ich es wieder nicht hinbekommen habe anders zu reagieren, lerne ich gerade mich dafür zu bedanken, dass ich es überhaupt mitbekomme.

Und beim nächsten Mal fällt es mir etwas früher auf. Immer noch zu spät, weil die Situation schon abgelaufen ist, aber immerhin etwas näher dran als vorher.

Dann häufen sich die Situationen wo ich schon in der Situation selbst realisiere, dass ich gerade dabei bin in ein altes Muster abzudriften. Zwar kann ich noch nicht über meinen Schatten springen um es einfach anders zu machen, aber immerhin wird mir das alte Muster nun schon in der Situation selbst bewusst.

Im nächsten Schritt ist mir schon vor der Situation bewusst, dass gleich dies oder jenes passieren könnte und ich kann mich entsprechend darauf vorbereiten und dann ggf. anders mit der Situation umgehen. Das meine ich mit „von hinten annähern“.

Es ist ein langwieriger Prozess. Es ist ein kräftezehrender Prozess.

Doch es ist gerade wichtig für mich. Welchen Sinn soll das Leben sonst haben?