Chemotagebuch – Tag 4 – 26.05.2016

Tag 4 – 26.05.2016

Gestern war ein aggro-Tag. Solche Tage gibt es. Sie fangen schon scheiße an. Ich bin sehr leicht reizbar, rege mich über alles und jeden auf, bin auf Kriegsfuß mit dem Leben.

Auf Kriegsfuß mit mir selbst.

Ich kann nicht sagen ob das mit der Chemo zusammenhängt oder einfach eine Laune ist.

Heute geht es mir jedenfalls nicht wesentlich besser. Wenn es eine Phase ist, dann hält sie länger an als gewöhnlich.

Doch auch jene Phasen gehören dazu und wollen gelebt werden. Ja, vielleicht sogar genossen werden.

Auch die Zeit in der es mir schlecht geht, in der ich mies drauf bin, in der ich mich selbst vielleicht nicht mag… Auch diese Zeit hat ihre Daseinsberechtigung und es ist wichtig auch diese Geschenke anzunehmen.

Was macht man mit solchen Tagen? Ablenkung? Stille?

Einfach warten bis es vorbei geht, getreu dem Motto „Es wird schon alles wieder gut werden“?!? Einfach so…?

An diesen Tagen klopfen die ganzen Leichen an unsere Tür, die wir die ganzen Jahre im Keller verstaut haben. All der Selbsthass, die Selbstzweifel, all die Ängste. Sie klopfen und scharren an der alten Holztür die unsere scheinheilige Alltagswelt von unserem Unbewussten trennt.

Manchmal macht man dann die Musik lauter oder geht im Garten eine rauchen. Dann hört man das Klopfen und Scharren nicht mehr und nach einiger Zeit vergisst man sogar was eigentlich los ist.

An manchen dieser Tage geht man aber auch mal näher ran, an diese Tür. Und man lauscht. Und man berührt die Tür und man fühlt.

Beim nächsten mal gibt man den Leichen Namen. Da ist eventuell eine Leiche namens „Trauer“. Und ihr Kumpel „Wut“.

Und irgendwann dann hat man soviel Mut und Zutrauen gewonnen, dass man die Tür einen Spalt breit öffnet. Und noch ein Stück weiter. Und man stellt sich seinen „Dämonen“…

Ich glaube dieser Prozess ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Bewusstwerdung durch eine ernst zu nehmende Krankheit. Dies beziehe ich zwar auf mich, allerdings glaube ich, dass dies immer zutrifft.

Wenn wir uns nicht freiwillig der Bewusstwerdung zuwenden, werden wir  Wenn ich mich nicht freiwillig der Bewusstwerdung zuwende, werde ich halt auf „anderem Wege“ von ihr erfasst. Es gibt dem kein Entrinnen, genauso wenig wie ein Grashalm sich dagegen wehren kann gen Sonne zu wachsen.

Es gibt nichts als das Leben und alles in ihm entspringt ihm auch. Das ist so offensichtlich und dennoch wehre ich mich ständig dagegen.

Kommentar verfassen